Der ORF war 2000 eines der allerersten Ziele der schwarz-blauen Regierung unter Wolfgang Schüssel – die sich damals, ohnehin schon mit EU-Sanktionen belegt, um ihren internationalen Ruf nicht groß zu scheren brauchte. Sie besetzte den ORF-Aufsichtsrat blitzartig um, intervenierte brutal und arbeitete, nur vorübergehend aufgehalten vom Widerstand der ORF-Journalisten, an einem neuen ORF-Gesetz, um den amtierenden ORF-Chef loszuwerden. Daraus kann man, kann auch eine ÖVP-geführte Regierung, für 2017/18 einiges lernen – wie ORF-Politik funktioniert oder auch nicht. Ein Rückblick.

2017 scheint anders

2017 ist – eher – nicht 2000: Die Aufsichtsgremien des ORF, der Stiftungs- und der Publikumsrat, stehen ohnehin im Frühjahr 2018 zur Neubesetzung an. Es dürfte einer neuen Bundesregierung die Aufregung eher nicht wert sein, binnen Wochen nach der Angelobung eines neuen Kabinetts die neun Stiftungsräte der Bundesregierung sowie die sechs der Parteien mit Klubstatus im Nationalrat auszutauschen. Rechtlich ist das möglich, das baldige Ende der regulären Funktionsperiode spricht dagegen.

Wenn eine neue Regierung Wert auf ihr Bild jenseits der Grenzen legt, dürfte sie auch die ORF-Führung nicht ruckzuck austauschen, auch wenn sie das, je nach Wahlausgang, im Extremfall könnte. Das Bild der ÖVP und ihr zugerechneter ORF-Räte und ‑Mitarbeiter ist da allerdings gespalten. Der gemäßigte Flügel plus die nach außen vermittelte Parteilinie klingen nicht nach rascher und gänzlicher Umbesetzung; ein radikalerer Teil indes drängt, eine nötige „Reform“ könne nur gleich zu Beginn einer neuen Regierungsperiode umgesetzt werden.

Mit einem neuen ORF-Gesetz ist jedenfalls zu rechnen, das haben SPÖ, ÖVP und FPÖ schon vor der Wahl gleichermaßen signalisiert, wenn auch nicht mit den gleichen Inhalten und Zielen. Ein neues Gesetz dürfte wohl bis in den Herbst 2018 dauern, frühestens 2019 in Kraft treten – und wohl die Neubestellung des Managements bedeuten, da tendieren viele in Richtung Vorstand statt Alleingeschäftsführer.

Wird Alexander Wrabetz, 2016 gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ bis Ende 2021 zum ORF-Chef wiederbestellt, einem solchen Vorstand vorstehen oder angehören? Er sammelt jedenfalls 2017 schon eine Menge Führungsjobs für passende (Neu-)Besetzungen nach der Nationalratswahl und der Regierungsbildung; und er hat mehrfach gezeigt, dass er im Sinne seines Jobs auch Direktoren ablöst, wenn es passendere Kandidaten gibt.

Aber bevor ich weiter im politischen Nebel stochere – etwa über meinen starken Verdacht, Presse-Chefredakteur Rainer Nowak könnte sich in den nächsten Jahren auf dem Küniglberg wiederfinden: Schauen wir zurück, wie es schon einmal war, als ein ÖVP-Chef Kanzler wurde, damals zusammen mit der FPÖ.

Die Wende von 2001

Die Wende von Rot-Schwarz zu Schwarz-Blau in der österreichischen Bundesregierung am 4. Februar 2000 liefert ein Lehrbeispiel dafür, wie sehr dieser ORF im Zentrum der Machtpolitik steht. Und sie zeigt, wie hurtig und gründlich sich eine ÖVP-FPÖ-Koalition schon einmal diesen öffentlich-rechtlichen Rundfunk vornahm. Samt neuem ORF-Gesetz.

Unterirdisch, durch Gänge unter dem Ballhausplatz und so sicher vor Demonstranten, schlichen Wolfgang Schüssel, Susanne Riess-Passer und ihre Minister in die Hofburg. Umso offener, lauter und unverblümter knöpfen sie sich den ORF vor.

35 Mitglieder hat der Aufsichtsrat dieser Anstalt, der damals noch Kuratorium hieß. Neun entsenden damals wie auch noch 2017 die – mehrheitlich schwarzen – Bundesländer. Weitere fünf der Zentralbetriebsrat. Sechs die so genannte Hörer- und Sehervertretung, ein weiteres ORF-Gremium. Sechs dieser Kuratoren suchen die Parteien im Nationalrat aus. Noch einmal neun bestimmt die Bundesregierung.

Es war noch kein Monat nach der Angelobung vergangen, als aus fünf roten und vier schwarzen Regierungskuratoren sechs schwarze und drei blaue wurden. Und schon hatte die neue Regierung die Mehrheit in dem Gremium. Dabei versprachen Schwarz und Blau noch im Jänner 2000, bis zum Ende der Funktionsperiode der ORF-Aufsichtsräte ändere sich nichts an der Besetzung. Die hätte bis Mitte 2002 dauern sollen. Im Frühjahr 2018 endet ihre reguläre Funktionsperiode wieder.

Dieser Aufsichtsrat – ob er nun Kuratorium heißt wie früher oder Stiftungsrat wie jetzt – wählt den Generaldirektor (früher: Generalintendant) und das übrige Management. Derselbe Aufsichtsrat kann sie auch wieder abwählen. Der Aufsichtsrat wird gebraucht, um dem Budget für das jeweils nächste Finanzjahr zuzustimmen und die Bilanz des vorangegangenen abzunicken. Seinen Segen benötigt die Geschäftsführung zudem für das so genannte Programmschema des nächsten Jahres in Radio und Fernsehen. Es bestimmt, ob zu dieser oder jener Uhrzeit Information oder Spielfilm, Serie oder Sport platziert werden.

Dumm nur: Die einfache Mehrheit in diesem Gremium reicht nicht, um amtierende Generalintendanten abzulösen. Das geht nur mit zwei Drittel der 35 Stimmen.

Als Schwarz und Blau 2000 die Macht in der Republik übernehmen, ist Gerhard Weis General des ORF. An die dreißig Jahre arbeitet er schon für die Anstalt, war zuletzt Radiointendant und Generalsekretär Gerhard Zeilers in Personalunion. Zeiler ging 1998 zu RTL nach Köln. Da witterten gleich zwei ORF-Veteranen Frühlingsluft: Weis und der langjährige kaufmännische Direktor Peter Radel. Im Grunde zwei Bürgerliche: Radel konsequent, Weis etwas flexibler. Er ist zwar Mitglied der bürgerlichen Kartellverbindung Bajuwaria, hat aber schon als Landesintendant im roten Wien gezeigt, dass sich auch Sozialdemokraten auf ihn verlassen können. Der geschickter inszenierte Weis setzt sich 1998 nicht zuletzt dank der roten Stimmen im Kuratorium durch. Die Schwarzen in dem Gremium lassen für ORF-Verhältnisse relativ rasch von Radel ab, dem Favoriten von Parteichef Wolfgang Schüssel. Der verzeiht die Niederlage seines persönlichen Freundes nicht. Dabei zeigt sich Weis nach der schwarz-blauen Wende durchaus anpassungsfähig.

Rabiate Angriffe insbesondere von FP-Klubchef Peter Westenthaler eröffnen nach der politischen Wende die Schlacht. Von Westenthaler zählen ORF-Mitarbeiter schon mal zwanzig Interventionsanrufe an einem Tag, flankiert von deftig formulierten Presseaussendungen gegen die Anstalt. Der Höhepunkt: Westenthaler droht Weis 2001 mit einer „Milliardenklage“ wegen vermeintlicher Untreue, weil der General in einem „Vereinbarungskartell“ mit dem VÖZ auf potenzielle Werbeeinnahmen verzichtete. Das Ganze verläuft im Sand.

Die ÖVP geht dezenter vor und verzichtet zumindest weitgehend auf Aussendungen. Weis’ Formel, wie seine Journalisten mit diesen Forderungen und Angriffen umgehen sollen, klingt nicht nach einem wehrhaften General: „Nicht reizen, nicht füttern, nicht in den Käfig gehen.“

Von wegen reizen, hier füttert der Chef persönlich: Der Redaktionsleiter von ZiB 2 und ZiB 3 ist den Freiheitlichen ein Dorn im Auge? Weis lässt ihn stattdessen die Diskussionssendung am Sonntagabend leiten. So enerviert ist der Mann von den pausenlosen Angriffen, dass er dort einen fuchsteufelswild anrufenden Westenthaler wie „Big Brother“ persönlich live auf Sendung schalten lässt. Schwarz-Blau wird erst (einigermaßen) Ruhe geben, bis dieser Johannes Fischer später zum ORF-Boulevardmagazin Thema versetzt ist. Und selbst dort bekommt der Rot-Grüne während eines Spitalsaufenthalts einen schwarzen Vize verpasst.

Unter Weis strahlt Kärnten heute Wortspenden des freiheitlichen Landeshauptmannes Jörg Haider aus, die dessen Pressesprecher mit der Kamera festgehalten hat. Die Einlage wird als „Selbstinterview“ des blauen Landeschefs in die ORF-Geschichte eingehen. Verantwortet von Landesintendant Gerhard Draxler, der sich alsbald unter Lindner als Infodirektor auf dem Küniglberg wiederfindet.

Das Appeasement nützt wenig: Die Regierung piesackt Weis mit Nadelstichen unterschiedlicher Tiefe. Erst kürzt sie den Zuschuss für den Auslandssender Radio Österreich International, bald streicht sie ihn ganz. Rot-Schwarz hat dem ORF versprochen, ihm, wie längst bei der Telekom üblich, die Befreiungen von der Rundfunkgebühr abzugelten? Schwarz-Blau streicht die Aussicht auf an die 44 Millionen Euro, ohne mit der Wimper zu zucken.

ORF-Widerstand: Der Krampus muss (ein wenig) warten

Eigentlich wollte die Regierung schon im Spätherbst 2000 ein Konvolut neuer Mediengesetze verabschieden. Am 5. Dezember 2000 soll das „Krampuspaket“ den Ministerrat passieren. Daraus wird nichts: Die Koalition stellt das ORF-Gesetz – und mit ihm das Privatfernsehgesetz – zurück. Erst am 5. Juli 2001 beschließen ÖVP und FPÖ beide Gesetze im Nationalrat.

Zu laut wurde es in diesem Herbst 2000 um die Zugriffe der Klubchefs Peter Westenthaler und Andreas Khol auf den ORF. Dafür sorgte nicht zuletzt im Oktober eine Resolution des Aktuellen Dienstes ORF-Fernsehen. Von einem „mehrtägigen Interventionsbombardement“ des FP-Mannes ist darin die Rede, von „mehrseitiger Detailkritik“ des VP-Parlamentsklubs an ZiB-Beiträgen, was die ORF-Journalisten ebenfalls als „unzulässigen Versuch, Druck auszuüben“, verstehen. In dieser aufgeheizten Stimmung ist ein neues ORF-Gesetz schwer zu verkaufen.

Diese Schonfrist nützt ORF-Chef Weis zur Gegenoffensive: Wolfgang Rosam, damals Chef der größten österreichischen PR- und Lobbyingagentur, beriet Kanzler Wolfgang Schüssel nach der turbulenten Wende nicht nur in Mascherl- und Krawattenfragen. Rosams Vertrauensposition beim Regierungschef sucht Weis zu nützen: Zwischen Weihnachten und Neujahr übermittelt er Schüssel und seinem damaligen Einflüsterer einen Vorschlag für ein neues ORF-Gesetz. 27 Prozent an der Anstalt sollen künftig die (mehrheitlich schwarzen) Bundesländer halten (können aber, wenn’s sein muss, auch 51 Prozent sein). Vielleicht gehen auch zwölf Prozent der Anteile an „Kurien“ etwa für Wissenschaft, die die Rektorenkonferenz beschicken könnte. Einen Großteil der übrigen vinkulierten Namensaktien an diesem ORF neu aber mögen die Hörer und Seher bekommen. Gebühren gibt es in dieser Form nicht mehr, nun sollen die Länder Abgaben für die Anstalt einheben, an der sie Weis’ Vorschlag ja beteiligt, und damit die Grundversorgung abdecken. Alle Werbebestimmungen, die strenger sind als jene der EU, sollen fallen.

Der Vorschlag, in den Weis mich Anfang 2001 unter dem Siegel der Verschwiegenheit kurz blicken lässt, findet sich ein paar Wochen später an prominenter Stelle wieder: Vom „ORF in Bürgerhand“ schwärmt Hans Dichand in der Schlagzeile seiner Krone. Man darf einmal raten, wer ihn auf die Idee gebracht hat. Doch der alte Herr konnte ja schon im Jahr zuvor seine Besetzungswünsche für die Bundesregierung trommeln, so laut er wollte. Schüssel wurde Kanzler von Gnaden der FPÖ. Und auch vom ORF „in Bürgerhand“ ist keine Rede.

Weis ist bis Herbst 2002 bestellt. So lange will Schwarz-Blau nicht mehr mit ihm leben. Um ihn abzuwählen, braucht die Regierung eine Zweidrittelmehrheit im Kuratorium des ORF. Und selbst dann noch gute Nerven. Den ohnehin anfangs willfährigen Weis so kalt abzuservieren, ist nur als schwarz-blauer Putsch auf dem Küniglberg zu verstehen. Noch nie ist ein ORF-General vorzeitig abgewählt worden, nur weil die Regierung wechselte.

Mit einem neuen ORF-Gesetz ist die vorzeitige Neuwahl auf dem Küniglberg ungleich einfacher zu begründen. Wo das Gesetz doch – jedenfalls nach Angaben seiner Betreiber – so edlen Zwecken dienen soll wie der Entparteipolitisierung. Dieses Versprechen ist nur eines der Feigenblätter für das große Ziel: die vollständige und möglichst lückenlose Wende auf dem Küniglberg. Oder um es mit dem damaligen ÖVP-Klubobmann und späteren Nationalratspräsidenten Andreas Khol zu sagen: Weg müssen die „roten Gfrieser“.

Dabei klingt die neue Politikerklausel im ORF-Gesetz so prächtig. „Nicht bestellt werden“ dürfen: „Mitglieder der Bundesregierung, Staatssekretäre, Mitglieder einer Landesregierung, Mitglieder des Nationalrates, des Bundesrates oder sonst eines allgemeinen Vertretungskörpers, ferner Personen, die Angestellte einer politischen Partei sind oder eine leitende Funktion einer Bundes- oder Landesorganisation einer politischen Partei bekleiden, sowie Volksanwälte, der Präsident des Rechnungshofes und Personen, die eine der genannten Funktionen innerhalb der letzten vier Jahre ausgeübt haben.“ Zudem keine Mitarbeiter von Parlaments‑, Landtags- oder Gemeinderatsfraktionen, keine Kabinettsmitglieder von Ministern oder Staatssekretären, keine Mitarbeiter von Parteiakademien.

Bisher konnten Kuratoren des ORF getrost im Hauptberuf Ministersekretäre sein, Landeshauptleute oder Klubchefs wie zuletzt Peter Westenthaler und Andreas Khol. Das hatte durchaus europäisches Niveau: „Wenn der Verwaltungsrat des Senders zusammenkommt, tummeln sich dort unter anderem fünf Ministerpräsidenten und der Chef des Bundeskanzleramts“, zählte der Spiegel bei der Bestellung des ZDF-Intendanten 2001  durch. Auch der weitere Text klingt geläufig: „Der Fernsehrat wird von zwei inoffiziellen Gremien dominiert, einem politisch ‚schwarz‘ und einem ‚rot‘ gefärbten Freundeskreis. Alle wichtigen Personalentscheidungen, vom Chefredakteur bis zum Verwaltungsdirektor, fallen nach der politischen Farbenlehre. Auf jede SPD-Sekretärin muss ein CDU-Anstaltsbote folgen. Beim Amt des Anstaltsleiters sind die Begehrlichkeiten natürlich besonders groß.“

Für Mitglieder des ORF-Stiftungsrates gilt nun – „Entparteipolitisierung!“ – die umfassende Politikerklausel. So genannte Freundeskreise gibt es freilich weiterhin. Mit dieser Verniedlichung vermied man schon im Kuratorium, von politischen Fraktionen zu sprechen. Ein klares Signal für Entparteipolitisierung: Zwar sitzen keine Politiker mehr im Stiftungsrat, dafür bringt sich damals etwa der Klubobmann und Mediensprecher der ÖVP, Wilhelm Molterer, häufig bei Vorbesprechungen der bürgerlichen Fraktion für Sitzungen des ORF-Stiftungsrates ein.

Dass schon das Kuratorium mit seinen 35 Mitgliedern zu groß war für einen effizienten Aufsichtsrat, stört Schwarz-Blau offenbar wenig. Eine Verkleinerung hätte die Frage aufgeworfen, warum jedes Bundesland ein eigenes Mitglied in dem ORF-Gremium braucht. Solange die Mehrheit der Bundesländer schwarz regiert wird, trennt sich die ÖVP naturgemäß schwer von dieser Regel. Also bleibt 2001 in Größe und Zusammensetzung des wichtigsten ORF-Gremiums alles beim Alten – bis auf seinen Namen: Die Regierung bestellt neun Mitglieder, die Parlamentsparteien suchen sechs aus, die Bundesländer insgesamt neun, der Publikumsrat sechs und der Zentralbetriebsrat fünf.

Diese fünf Belegschaftsvertreter spielten oft schon das Zünglein an der Waage bei Wahlen im ORF. Weis wie Lindner locken diese Herrschaften 2001 mit Versprechen über die Anstellung freier Mitarbeiter mit einem neuen Kollektivvertrag. „Das hat den Geruch des Stimmenkaufs“, empört sich Helga Rabl-Stadler im Oktober dieses Jahres, weil Weis mit den Betriebsräten darüber verhandelt. Die bürgerliche Stiftungsrätin, damals noch Vorsitzende des Finanzausschusses, über das Prinzip: „Du gibst mir einen Kollektivvertrag mit Kompromissen und Wahlzuckerln und kriegst von mir fünf Stimmen.“ Lindner versprach dasselbe offenbar erfolgreicher.

Warum eigentlich Stiftungsrat? Schwarz-Blau macht aus der bisherigen Anstalt öffentlichen Rechts, die im Grunde niemandem gehörte, eine Stiftung, die sich selbst gehört. Schon wieder ein treffliches Verkaufsargument der Regierung für das neue ORF-Gesetz: Nun könne der ORF nicht so einfach privatisiert werden. Die Koalitionäre müssen allerdings selbst zugeben, dass aus der Stiftung ebenso gut wieder eine Anstalt oder ein privates Unternehmen werden kann, sobald die politische Mehrheit das will.

Eine Demokratie-Parodie geht direkt daneben

Noch ein Aufsichtsgremium hat der Küniglberg: Bisher hieß es Hörer- und Sehervertretung, nun nennt es sich Publikumsrat. Weitgehend frei von Kompetenz/en bleiben die Damen und Herren weiterhin, sieht man davon ab, dass sie sechs ihrer Kollegen in den mächtigen Stiftungsrat entsenden.

Damit ein bisschen direkte Demokratie die Anstalt durchflutet, wo sie kaum weiter schaden kann, dürfen die Gebührenzahler ab 2001 (und bis der Verfassungsgerichtshof die Regel 2011 aufhebt) ganze sechs der 35 Publikumsräte per Fax wählen. Den Rest bestimmen weiterhin Kirchen und Kammern, Autofahrerklubs und Bildungseinrichtungen der Parteien. Aber drei der direkt gewählten Publikumsräte muss das Gremium auch in den Stiftungsrat entsenden.

Schwarz-Blau unterschätzte die Mobilisierungskraft der Sozialdemokraten. Die Roten nominieren 2001 Promis von Läuferin Steffi Graf bis Schauspieler Fritz Muliar und stellen prompt alle sechs direkt gekürten Publikumsräte. Damit haben drei Rote ihr fixes Ticket in den Stiftungsrat. So verpasste die Regierungskoalition ihre schon sicher geglaubte Zweidrittelmehrheit im Stiftungsrat, mit der das Gremium jeden ORF-Direktor abwählen kann.

Macht nichts: Neues Gesetz, neuer Chef. Um Direktoren zu küren, reicht nun ja die einfache Mehrheit im Stiftungsrat, und die schafft die Regierung locker. Bisher brauchte es unter den 35 Aufsichtsräten die Zweidrittelmehrheit in geheimer Abstimmung, um einen General zu wählen. Das konnte sich über Monate hinziehen, die den ORF zusätzlich lähmten.

Weis versucht bis zum letzten Moment, mithilfe Jörg Haiders neben den sozialdemokratischen auch die freiheitlichen Stiftungsräte auf seine Seite zu bringen. Doch wer in monatelanger Kleinarbeit ein neues Gesetz strickt, um vor allem den amtierenden General loszuwerden, der gibt so knapp vor dem Ziel nicht auf.

Die nun offene statt wie bisher geheime Abstimmung im Stiftungsrat drängt zur Fraktionstreue. Monika Lindner wird am 21. Dezember 2001 mit sämtlichen Stimmen von Schwarz und Blau gewählt. Mit einer Ausnahme: Für Lindner stimmen 16 der 17 bürgerlichen Stiftungsräte. Jener des Bundeslandes Tirol fehlt. Er hat als Manager der Swarovski Kristallwelten gute Verbindungen zu deren Schöpfer André Heller, der wiederum Gerhard Weis als Gast schätzt. Die sechs der FP zugerechneten Stiftungsräte sind geschlossen für Weis’ Widersacherin.

Am 23. Dezember 2001 sagt die zuletzt als Landesintendantin des ORF Niederösterreich entsprechend vorbereitete Neogeneralin sehr realistisch: „So naiv kann keiner sein. Der ORF war immer ein Objekt politischer Begierde. Das ist so und das wird auch so bleiben.“ Welche Wünsche der Politik erfüllt die Anstalt? „Die Qualität der Wünsche ist entscheidend.“ Das merkt man dem Ergebnis nicht immer auf den ersten Blick an.

Jägersfrau, mehr schwarz als blau

Monika Lindner war nicht die erste Wahl für den Job. Kanzler Wolfgang Schüssel hat den Vorstandsvorsitzenden der Styria zur Kandidatur gedrängt. Aber dieser Horst Pirker will ja immer nur FM4, Ö3, ORF 1 oder am besten alle drei Kanäle privatisieren. Wo bliebe da die damals noch durchgeschaltete ZiB 1 als große Plattform für politische Ansagen vor allem der Regierungsparteien?

Dazu passt die Reaktion eines anderen Wunschkandidaten: Jan Mojto, langjähriger Manager in der deutschen Kirch-Gruppe, soll über seine Gesprächspartner in der österreichischen Politik „bestürzt“ gewesen sein, sagt ein Vertrauter Mojtos. Bestürzt auch über ihre Bedingungen. Womöglich legten sie auch dem deutschen Medienkapazunder ihre Wunschlisten für weitere Besetzungen vor, von denen Lindners Gegenkandidat Wolfgang Vyslozil berichtete, der Geschäftsführer der Nachrichtenagentur APA.

Auch Georg Kofler zählte zu den Wunschkandidaten. Bevor er Pro Sieben aufbaute, war der Südtiroler Bürochef bei Gerd Bacher im ORF. Den Mann kann sich die Anstalt freilich nicht mehr leisten. Bald schon wird sie sich dank Koflers Wirken als Premiere-Chef die TV-Rechte an der österreichischen Fußball-Bundesliga ebenso wenig leisten können.

Gerne hätte Wolfgang Schüssel seinen Freund Peter Radel an der Spitze des ORF gesehen. Doch dem reicht völlig, dass ihn seine bürgerlichen Parteifreunde 1998 so schnell im Stich ließen, zugunsten von Gerhard Weis.

Die FPÖ hätte sich nach einem Generaldirektor Elmar Oberhauser gesehnt. Aber eben nur die FPÖ.

Bei ganz wichtigen Terminen trage ich immer die venezianische Fächerbrosche mit den 32 Mohrenköpfen“, vertraute Lindner einmal der Krone über ihren Schmuck am ORF-Wahltag, 21. Dezember 2001, an. Kein Wunder: lauter Schwarze.

Mit drei Politikern ist sie nach eigenen Angaben bei ihrer Kür per Du. Alles Bürgerliche jedenfalls: Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat, Innenminister Ernst Strasser und Erwin Pröll. Der Landeshauptmann Niederösterreichs lernte Lindner offensichtlich als Landesdirektorin in St. Pröllten schätzen. Dank täglichem Pröll-TV um 19 Uhr? „Während ich zweimal in der Woche vorgekommen bin, ist Pröll im Lindner-ORF gleich zweimal am Tag vorgekommen“, erinnert sich der ehemalige SP-Vorsitzende Niederösterreichs Karl Schlögl in einem gediegenen Porträt über „Moni und die schwarzen Männer“ in der Kleinen Zeitung.

Nach Lindners Kür zur Generalin rechnet Schlögl aus Lindners Niederösterreich-Intendanz hoch auf den gesamten ORF: „Nur die Freiheitlichen, die werden davon gar nichts haben.“ Schlögl behält weitgehend Recht – jedenfalls so lange, bis Lindner die Blauen für ihre Wiederwahl braucht. Franz Morak, da gerade Medienstaatssekretär aus den Reihen der ÖVP, lieferte schon in den Achtzigerjahren als Austropopper den Soundtrack für die weitgehend ausgebootete FP: „Sieger sehen anders aus.“

Pröll soll sich anfangs gar nicht so begeistert gezeigt haben von Lindner als ORF-Chefin. Inzwischen mag er die Generaldirektorin bei keinem Opernball an seiner Seite missen. Christian Konrad konnte Pröll und andere Skeptiker in der ÖVP offenbar überzeugen. Er ist nicht nur Generalanwalt des mächtigen Raiffeisen-Konzerns Niederösterreich-Wien, sondern auch Landesjägermeister im größten Bundesland. Dass Lindner deshalb seit Mitte der Neunzigerjahre pirscht, weist sie entschieden zurück: „Das ist eine miese Vernaderei.“ „Es ist richtig, dass ich sie zur Jägerei ermutigt habe“, bestätigte Ballermann Konrad dem Trend. Ein paar Zeilen weiter sagt der Jägermeister, dass das Weidwerk „ein Schuhlöffel sein kann“.

Gerhard Weis spricht im Dezember 2001, gerade von Schwarz-Blau aus dem Amt befördert, drastisch von einem „politischen Ritualmord“.

Die Landesintendanten übernehmen den ORF

Nach dem General oder der Generalin kommt die übrige Führung dran. Diese Wende auf dem Berg markiert zugleich einen Aufstand der Provinz, eine Verschwörung der Landesintendanten gegen Gerhard Weis. Im Frühjahr 2001 trafen sich die Landesintendanten zu einer ihrer Managementklausuren auf dem Land. Generalintendant Gerhard Weis haben sie auch eingeladen. Er hat nicht seinen freundlichsten Tag, sagen Insider, und schasselt seine Landesliga eher ab. Die Landesintendanten haben nun ein gemeinsames Ziel: Weis in den Ruhestand. Wer aus ihrer Riege ins politische Farbenspiel passt, geht ins Rennen um Macht und Führungsjobs auf dem Küniglberg.

Lindner erarbeitete, erjagte und ersendete ihre prächtigen Verbindungen vor allem zur niederösterreichischen ÖVP. Eine erste Frau an der ORF-Spitze ist zudem gut zu vermarkten.

Reinhard Scolik ist ein Bürgerlicher, der als Wiener Landesintendant des ORF schon mit dem roten Rathaus leidlich gut auskam. Außerdem arbeitete der Mann früher einmal in der Programmplanung. Kann für einen Programmdirektor nicht schaden. Ist aber auch keine automatische Erfolgsgarantie, wie sich an sinkenden Marktanteilen und anfangs erbitterten Konflikten mit der ihm unterstellten ORF-Kultur zeigt.

Jedenfalls schwarz und jedenfalls kein Widerspruchsgeist ist Kurt Rammerstorfer. Zudem betreut der bisherige und spätere Linzer Landesintendant Lindner als persönlicher Begleiter am Generalswahltag. Als Radiodirektor kultiviert er seine jedenfalls stille Größe durch gnadenlose Unauffälligkeit, mit der er immerhin einer ambitionierten Informationsmannschaft nicht allzu sehr im Wege steht. Dass im Mittagsjournal zum Beispiel ein Interview mit Karl-Heinz Grasser zu hören ist, das der Finanzminister wegen zu hartnäckiger Fragen nach seinen steuerschonenden Aktivitäten abgebrochen hat, spricht nicht für Rammerstorfer, sondern für seine Redakteure unter Karl Amon. Der rote Amon blieb trotz Wende Radiochefredakteur.

Der frühere Kärntner Landesintendant Gerhard Draxler passte gut ins Verschwörungskonzept seiner Kollegen. Spätestens seit dem „Selbstinterview“ Haiders in Kärnten heute konnte man Draxler der FPÖ als einen der Ihren verkaufen. Dass er den Freiheitlichen als Informationsdirektor wenig bringt, liegt nicht nur daran, dass sich der Mann oft seiner Wurzeln in einer obersteirischen Eisenbahnerfamilie besinnt. Zwischen der weisungsberechtigten Schwarzen Lindner über ihm und dem nicht minder schwarzen Chefredakteur Werner Mück rein organisatorisch unter ihm, zwischen roten Wurzeln und blauen Wünschen entscheidet sich Draxler gerne für die vierte Farbe im politischen Spektrum und flüchtet aufs Green, um dort auf kleine, wehrlose Bälle einzuschlagen.

Die Blauen hätten Elmar Oberhauser auch als Infodirektor genommen. Der Mann hat sich schon als Sportchef bewährt. Noch unter General Gerhard Weis überzieht Oberhauser seinen Sonntagssport bis weit in die Sendezeit der ZiB 1, um in einer Sendung Vizekanzlerin und Sportministerin Susanne Riess-Passer und den Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider, beide FPÖ, ausführlichst zu Wort kommen zu lassen.

Besonders originell daran: Haider plaudert in ORF 1 als Präsident des FC Kärnten und redet gleichzeitig auf ORF 2 in anderer Montur als Landeshauptmann in der ZiB 1. „Bis ins Grab stören“ wird Oberhauser, dass er als FPÖ-Mann gilt, vertraute er Profil später an: „Ich gehöre zu keiner Partei und werde nie zu einer Partei gehören.“ Oberhausers Handicap bei der ÖVP, als es 2002 um das neue ORF-Management geht: Der bullige Vorarlberger wäre nicht so leicht vom operativen Chefredakteur und Schwarzfunker Mück zu überdribbeln.

An den kleinen bis mittleren Katastrophen von Lindners ersten Jahren als Generaldirektorin ist nach deren Darstellung meist ihr Führungsteam schuld, sie selbst so gut wie nie. Aber wer hat die Herrschaften ausgesucht, gleich drei aus Lindners damals so vertrauter Riege der Landesintendanten? Wer nannte sie ein „Dreamteam“? Lindner hätte etwa Programmdirektor Scolik rechtzeitig vor kommerziellen Ausritten wie Bachelor (mit RTL) & Co zurückpfeifen können. Immerhin besaß sie als erster ORF-General seit Jahrzehnten auch das Recht, in die Programme per Weisung einzugreifen.

Das neue ORF-Gesetz ermöglichte Generälen damals, die Größe ihres Managements, zwischen vier und sechs Direktoren, selbst zu bestimmen. Bis dahin waren es fix fünf (ab 2010 sind es vier): für TV-Info, TV-Programm, Radio, Finanzen und Technik. Zeiler wollte stets welche einsparen, selbst General und Fernsehprogrammchef in Personalunion spielen, konnte aber laut Gesetz nicht. Lindner stockt gleich auf das neue Höchstmaß auf. Das liegt auch an politischen Notwendigkeiten. Zumindest einmal noch müssen sich die Blauen in diesem Management wiederfinden.
Als kaufmännischen Direktor will Lindner, wie zuvor Weis, Alexander Wrabetz. Der ist trotz blauer Verbindungen doch ziemlich eindeutig der roten Reichshälfte zuzuordnen. Vielleicht ahnte Lindner, dass sie den Mann noch wirklich brauchen wird: Er hält nicht nur Bilanzen und Finanzen zusammen, sofern es der Betriebsrat zulässt. Zudem hilft er, den Pegel an Professionalität im Management des ORF über dem kritischen Punkt zu halten. 2006 wird er Lindner ablösen.

Als Blauer geht auch Andreas Gall nicht durch, der bisher mit einer Beratungsfirma die Technik von Ö3 leitete. Gall arbeitet als Lindners technischer Direktor eher im Stillen daran, über Jahrzehnte gewachsene, aber deshalb nicht zwingend sinnvolle Strukturen umzubauen. Und hat nebenbei alle Hände voll damit zu tun, überalterte Gerätschaften des ORF einzusparen oder möglichst kostenschonend zu erneuern.

In Vorarlberg wird Lindner mithilfe der FPÖ fündig. Ronald Schwärzler, früher Geschäftsführer des örtlichen Internetproviders, wird erster Onlinedirektor des ORF. Zunächst ist er vollauf damit beschäftigt zu erklären, dass seine Ausschussfunktionen in einer kleinen Vorarlberger Gemeinde keine so wirklich politischen waren. Auch für ORF-Manager gilt schließlich eine umfassende Politikerklausel. Sie schließt all jene von solchen Jobs aus, die in den vier Jahren zuvor das Volk oder ihre Partei oder beides vertreten haben.

Danach ist Schwärzler vor allem damit beschäftigt zu rechtfertigen, dass sein neu geschaffener Job als sechster ORF-Direktor auch wirklich gebraucht wird. Wie dringend, zeigt die Organisationsanweisung für den Aufbau seiner Direktion. Sie tritt ohne merklichen Einfluss auf den Output erst zwei Jahre nach Schwärzlers Dienstbeginn in Kraft.

Schwarz sehen: Die Wende in der ORF-Information

Karg ist die Personalreserve der FPÖ. Walter Seledec fiel nicht zuletzt dadurch auf, dass er als Chef vom Dienst der Mittags-ZiB eine blaue Pressekonferenz in epischer Breite übertrug, dass ein TV-Team den damaligen FP-Klubchef und ORF-Kurator Peter Westenthaler zum abendlichen Interview just in Seledecs Wohnung fand und dass der Mann, wiewohl selbst als Brigadier ranghoher Reserveoffizier des Bundesheeres, häufig im ORF über dieses kriegerische Hobby berichtet. Nicht zu reden von Waffen, die Seledec bei dem Verein günstig erstanden hat. 2017 wird Profil noch aufdecken, dass Seledec EADS beim Ankauf von Eurofightern mit medienstrategischem Rat zur Hand ging – der Deal beschäftig noch lange Gerichte und U‑Ausschüsse.

Seledec wird 2002 Chefredakteur in der ORF-Generaldirektion, ein damals eher mäßig einflussreicher Job, und damit als Infodirektor ebenso verhindert wie Christian Wehrschütz, Balkankorrespondent des ORF mit Vergangenheit bei der doch recht ultrarechten Aula. Seledec neuer Job: gut dotiert, aber weitgehend machtlos. Den bekam schon so mancher politisch gerade nicht passender ORF-Mann abgeschoben. Perfid daran: Per Organisationsanweisung Lindners wird die Minderheitenredaktion der Anstalt just dem blauen Seledec unterstellt. Der Brigadier dreht übrigens unter Lindner eine Jubiläumsdoku über das Bundesheer für den ORF, gesponsert von den Landesverteidigern. Schon früher fand ein Auftragsvideo des Bundesheeres aus seiner Hand den Weg ins Hauptabendprogramm der Anstalt.

Starker Mann der ORF-Information und tatsächlicher Chefredakteur ist nun Werner Mück. Mit Mücks Bestellung am 25. April 2002 setzt die Musik ein für jene Reise nach Rom, die stets beginnt, wenn an der ORF-Spitze die Farbe wechselt. Als der rote Gerhard Zeiler 1994 das Haus vom bürgerlichen Langzeitgeneral Gerd Bacher übernimmt, ruft er als eine seiner ersten Maßnahmen eine große „Job-Rotation“ aus. Dabei kommen nicht wenige von Khols „roten Gfriesern“ in jene Jobs, von denen sie der Salontiroler der Bürgerlichen acht Jahre später entfernt sehen will. Das erledigen nun Lindner und Mück für ihn.

Getrennte Sendungsverantwortung für ZiB 1 und Spät-ZiBs schafft dieses dynamische Duo umgehend ab. Hier geht es um zentrale Steuerung. Die übernimmt Mück, vertreten vom zuletzt in der Parlamentsredaktion zwischengelagerten Thomas Ortner und dem bisherigen Thema-Chef Roland Schmidl. „Planungsredaktion“ nennen sich die beiden Bürgerlichen etwas verharmlosend.

Schmidl hat kein Problem mit einer Doppelrolle: Als er zur Führungskraft bestellt wird, ist er zugleich Betriebsratsvorsitzender TV Programm, einer der größten dieser Bereiche in der ganzen Anstalt. Bei der Betriebsratswahl Anfang 2004 in seinem Bereich wird Schmidl dann mit äußerst klarer Mehrheit abgewählt, was seinen Doppeljob beendet. In den Zentralbetriebs- und den Stiftungsrat ließ er sich freilich einige Wochen vor der Schlappe für vier Jahre bestellen. Schmidl wählte damit 2006 den nächsten Generaldirektor des ORF mit. Seine zeitweilige Doppelrolle als Chef und Belegschaftsvertreter bleibt nicht die einzige Grauzone: Die Moderation der ZiB 1, der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes, durfte unter Lindner über Monate der Sohn von Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer (VP) übernehmen.

Dafür herrschen in der Führung klare Verhältnisse. Redaktionskonferenzen, in denen bisher auch einfache Redakteure über Themen und Beiträge mitdiskutieren konnten, schafft Mück ab. Debatten stören nur bei der Umsetzung politischer Wünsche, könnte man als Motiv vermuten. Insider sagen Mück ständigen Telefonkontakt, insbesondere mit dem Klubobmann und Mediensprecher der ÖVP Wilhelm Molterer, nach. „Blödsinn“, sagte Mück zum schwarzen Telefon. Molterer antwortet Profil dazu nur: „Ich telefoniere mit vielen Leuten.“

Dafür war schon Andreas Rudas bekannt, dessen Wechsel vom Generalsekretär des ORF unter Zeiler zum Bundesgeschäftsführer der SPÖ wenig an seiner Anruffrequenz in den Redaktionen der Anstalt geändert haben soll. Molterer hat es dank zentraler Organisation offenbar leichter, diskret vorzugehen. „Es gibt zahllose Politiker, die ernsthaft glauben, ihr Rundfunksender sei eine große Orgel und die Redakteure seien die dazugehörigen Pfeifen“, schrieb Die Zeit einmal über die deutschen Anstalten. Nach der Melodie zu schließen, funktioniert das.

Auf dem Wiener Küniglberg kehren die Redaktionskonferenzen der TV-Information erst nach monatelangen, auch öffentlichen Protesten wieder. Das schaffen „rote Gfrieser“ und sonst wie gerade unpassende Journalisten nicht so bald. Die Report-Chefin muss in die Wissenschaft weichen – erst einem einigermaßen Blauen, dann einem eindeutig Schwarzen als Leiter des ORF-Politmagazins. Der rote ZiB 1-Chef wird in die wenig relevante Parlamentsredaktion verfrachtet. ZiB-Redakteur Hanno Settele, der nach der Wende durch eine Haider-kritische Analyse auffällt, zieht es alsbald vor, sich ins Washingtoner ORF-Büro versetzen zu lassen. Statt sich hinter ihren Mitarbeiter zu stellen, verurteilte die Generaldirektorin seine Analyse ohne Not umgehend per Aussendung: Sie habe „die vom Objektivitätsgebot gesetzten Grenzen jedenfalls erreicht“. Der Bundeskommunikationssenat indes hat daran nichts auszusetzen, als ihn die FPÖ deshalb bemüht. Als kritische Interviewer bekannte ORF-Moderatoren wie Armin Wolf werden in der ZiB 2 von vorher aufgezeichneten Gesprächen mit dem Kanzler überrascht, in der ein Kollege etwas weniger forsch fragt. Wolfgang Schüssel verwahrt sich auch erfolgreich gegen zu kritische Radiointerviewerinnen.

Ein Verteidiger von Schwarz-Blau im Kurier indes muss auf höheren Wunsch 2004 als stellvertretender Innenpolitikchef zur ZiB engagiert werden. Bei der Zeitung wurde ihm ein anderer als neuer Ressortleiter Innenpolitik vorgezogen. Dass es die Position im ORF offiziell gar nicht gibt, wie man dem damals protestierenden SP-Stiftungsrat Karl Krammer blauäugig versichert, stört dabei nicht weiter.

Als sich der Medienexperte von Medienstaatssekretär Franz Morak Richtung Küniglberg verändern will, platzt der Opposition im Spätherbst 2003 der Kragen. Der damalige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen persönlich wird zum öffentlichen Protest aufgeboten. SP-Vorsitzender Alfred Gusenbauer mag nicht nachstehen, den Schwarzfunk zu geißeln. Er räumt ein: „Natürlich gab es auch früher Interventionen.“ Aber eines meint er zu wissen: „So schlimm wie jetzt war es noch nie.“ Wir erinnern uns: Gerhard Zeiler war Pressesprecher des sozialdemokratischen Bundeskanzlers, bis er als Generalsekretär anno 1986 auf den Küniglberg wechselte. Gegen Moraks Mitarbeiter Gerald Grünberger wird ins Treffen geführt, dass er auch Funktionär der ÖVP Ottakring ist. Er wechselt, wie noch oft, doch nicht auf den Küniglberg.

Die Bestellung wäre wahrscheinlich leichter vonstatten gegangen, hätte die Generaldirektorin nicht parallel dazu versucht, eine Politmoderatorin abzusetzen, die nicht nur als solche erfolgreich arbeitete, sondern auch einem damals leitenden Pressemann der Grünen nahe steht.

Wenig später wechselt Harald Pfannhauser, Experte der Wirtschaftskammer für Medienwirtschaft und Digital-TV, als Bürochef zum ORF-Programmdirektor. Der Vorsitzende des Finanzausschusses im höchsten ORF-Gremium, dem Stiftungsrat, Christian Domany, ist damals zugleich Generalsekretär der Wirtschaftskammer.

Erfahrung mit der Medienszene haben Grünberger wie Pfannhauser. Den tatsächlich im ORF angekommenen Pfannhauser kann man getrost als Personalreserve für etwas höhere Jobs im Auge behalten.

Zurück zu Mück: Der ist zentral verantwortlich für den Schwarzfunk, wie ihn Kritiker im ORF ausmachen. Selbst die FPÖ als Regierungspartner der ÖVP staunt, wie wenig sie im gemeinsam gewendeten ORF zu sagen hat. Vielleicht trägt ihr Mück noch immer nach, dass ein blauer Landtagsabgeordneter weiland gegen ihn Strafanzeige erstattet hat wegen „Verdacht der falschen Zeugenaussage vor dem Untersuchungsausschuss des Salzburger Landtags“.

Ein Konvertit von Blau zu Hellschwarz indes hat bei Mück wenig zu fürchten: Als Finanzminister Karl-Heinz Grassers Affären um seine äußerst steuerschonend mit Spenden der Industriellenvereinigung finanzierte Homepage auffliegen, dauert es Tage, bis das Publikum auch im ORF davon erfährt.

Das hat durchaus Tradition im ORF: Von der so genannten „Euroteam“-Affäre hört und sieht man 1999 in den „ZiBs“ wochenlang nichts. Und als doch, verschwinden aus dem Beitrag just jene acht Sekunden, in denen der in die Affäre verwickelte Sohn von Kanzler und SP-Chef Viktor Klima vorkam. Das macht die aktuelle Pflege dieses eigenartigen Brauchtums freilich um nichts besser.

Was hat Monika Lindner 2001 in ihrer Bewerbung um den Generalsjob versprochen? „Die ORF-Konsumenten können mit Recht vom ORF erwarten, mit seriöser, objektiver Hintergrundinformation aus österreichischer Sicht und journalistisch einwandfrei gemachten Nachrichtensendungen, wie es der gesetzliche Auftrag vorsieht, versorgt zu werden.“ Objektiv? Dafür hat Lindner nun wirklich keiner der schwarzen und blauen Stiftungsräte gewählt. Im Gegenteil.

Selbst der damals dem ORF durchaus freundlich gesinnte Guido Tartarotti schreibt Anfang 2004 im Kurier, der mehrheitlich dem Raiffeisen-Konzern von Lindners Jägermeister Christian Konrad gehört: „Dennoch wäre es schön, würde die ZiB nicht nur gut moderiert, sondern auch wieder das, was sie einmal war: eine politisch ausgewogene Sendung, bei der die tatsächliche Relevanz einer Nachricht mehr zählt als ihr Unterhaltungswert oder die politische Farbenlehre. Bekommt das Publikum nur noch Schwarzfunk zu sehen, könnten viele auf die Idee kommen, Schwarzseher zu werden.“

Es folgen: ein Aufstand der ORF-Redakteure und ein neuer ORF-General, damals insbesondere dem freiheitlichen BZÖ zu Dank verpflichtet – der bisherige ORF-Finanzdirektor Alexander Wrabetz – mehr darüber hier.