ÖFFENTLICH-RECHTLICH Rundfunkgebühren für einen gesetzlichen Auftrag – und was ist eigentlich öffentlich-rechtlich?
- Es gibt Österreichs größtes Medienunternehmen ORF, um einen öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen – und er bekommt dafür rund 650 Millionen Euro Rundfunkgebühren. Aber welchen Auftrag soll er da erfüllen?
- Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist nicht staatlicher Rundfunk – er ist vielmehr als das Gegenteil von Staatsfunk gedacht. Er ist zur Unabhängigkeit verpflichtet. In der Praxis ist das – siehe ORF und Politik oben – nicht ganz so einfach.
- Die Grundidee von öffentlich-rechtlichem Rundfunk würde ich so beschreiben: ein Medium oder Medien im Dienste der Allgemeinheit - wenn man so will: im Sinne des medialen Gemeinwohls. Information, Bildung und eine besondere Form der Unterhaltung im Sinne, möglichst unabhängig von Einzelinteressen, etwa wirtschaftlichen oder politischen. In Deutschland und Österreich entwickelt aus den Erfahrungen mit der Propagandamaschine des NS-Regimes - das nicht zuletzt mit der Unterstützung eines privaten Mediengroßkonzerns (Hugenberg) an die Macht gekommen war.
- Digitale Öffis. Die Idee von Medienangeboten im Gemeininteresse ergibt auch in der digitalen Welt der 2020er einigen Sinn. Zum Beispiel:
- Verlässliche, bestmöglich geprüfte und wahrheitsgemäße (oder andernfalls rasch und transparent richtiggestellte) Information zum Beispiel in Zeiten von – auch gezielter – Desinformation von Gesellschaften.
- Unterhaltung innerhalb erwünschter Rahmen und mit altersgerechtem Zugang, möglichst ohne in zwei, drei Klicks oder Auto-Weiterleitungen bei Gewalt oder Pornografie oder auch nur nicht altersgerechter Werbung zu sein.
- Öffentlich kontrollierte Verwendung des zum Betrieb nötigsten, geringstmöglichen Datenbestandes von Userinnen und Usern.
- Öffentliche Finanzierung – die lange überwiegende Werbefinanzierung privater Medienhäuser ist längst großteils zu digitalen Weltkonzernen wie Google und Facebook abgewandert. Journalismus zu finanzieren wird damit immer schwieriger; auch hier kann man döffentlich-rechtlicher Angebote mit öffentlichem Geld andererseits aber als Konkurrenz zu privaten Medienangeboten sehen, die ebenfalls meist gerne auf öffentliche Förderung zurückgreifen.
- Dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter öffentlicher Kontrolle, die der Idee nach aber ebenfalls möglcihst unabhängig von (partei)politischen Interessen organisiert sein sollte. Das gelingt schwer, in Österreich besonders schwer. [In Deutschland gibt es das Verfassungsprinzip der Staatsferne für den öffentlichen Rundfunk; 2014 entschied das Bundesverfassungsgericht Rundfunk, dass "staatliche und staatsnahe Personen im Fernseh- und im Verwaltungsrat" des ZDF höchstens ein Drittel der Mandate besetzen dürfen. Im ORF liegt ihr Anteil jenseits der zwei Drittel. Die Entscheidung des deutschen Bundesverwaltungsgerichts 2014
Gebühren oder andere staatliche Beihilfen darf der ORF nur für die Erfüllung seines gesetzlich definierten, öffentlich-rechtlichen Auftrags einheben. Daran erinnerte Österreich ein EU-Wettbewerbsverfahren 2008/9, das in einem neuen ORF-Gesetz 2010 mündete./ GIS Rundfunkgebühren. - Der Gesetzesauftrag umfasst neben der technischen Versorgung möglichst aller mit Programmen sowie vielfältiger, ausgewogener, umfassender Information auch Vorgaben über Programmqualität und vor allem über Aufgaben und Programminhalte. Der ORF muss Programm für alle gesellschaftlichen Gruppen anbieten, allerlei fördern – das Verständnis für demokratisches Zusammenleben, die österreichische Identität im Blickwinkel der europäischen Integration, Kunst, Kultur und Wissenschaft, die österreichische kreative Produktion, Volks- und Jugendbildung, das Interesse an aktiver sportlicher Betätigung, das Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge, soziale und humanitäre Anliegen, das Verständnis über Nachhaltigkeit. Und außerdem soll der ORF unterhalten. Dazu kommen (eher flexible) Vorgaben über anspruchsvolle Programme im Hauptabend und ausgewogene Programmgestaltung (Information, Kultur, Sport, Unterhaltung). Das ORF-Gesetz im Wortlaut (Kernauftrag in Paragraf 4)
- Diese Vorgaben für ausgewogene Programmierung hat der ORF jedenfalls schon einmal verletzt: Der Verwaltungsgerichtshof verurteilte den ORF 2015 wegen einschlägigen Gesetzesbruchs vor Oktober 2011.
- Vor allem dem ORF 1 (Kaufserie, Kauffilme, Premiumsport, Shows) und Ö3 wird spätestens seit der Programmreform von Gerhard Zeiler 1995 sehr kommerziell-private Programmierung vorgeworfen. Die RTR-GmbH, Geschäftsapparat der Medienbehörde KommAustria, hat dazu bis 2011 Programmanalysen beauftragt, die dem ORF – präzise: ORF 1 – mehr Unterhaltung als ProSieben oder RTL attestierten.
- Wie der ORF seinen Auftrag versteht, zeigen etwa die Jahresberichte des ORF an Bundeskanzleramt und Nationalrat. Hier finden Sie einen (schon etwas älteren) sehr kritischen Kommentar eines renommierten Rundfunkrechtlers über diese ORF-Sicht.
- Der breite Kulturauftrag. Das (frühere) ORF-Aufsichtsgremium Bundeskommunikationssenat nahm sich sehr kritisch den ORF-Kulturbegriff vor.
- Auftrag: Unterhaltung. Seit 2001 muss Unterhaltung im ORF nicht mehr "einwandfrei" sein wie zuvor, nun hat er einfach auch einen Unterhaltungsauftrag. Mehr dazu in diesem Lexikonstichwort – und einen pointierten Ausklapptext im öffentlichen Teil gleich unter dieser Zusammenfassung.
- Ziemlich privat. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich – vulgo ORF – zeigte und zeigt gerne sehr private Seiten. Wie (auch von anderen europäischen Öffis bestaunt) privat, steht im Stichwort ORF-PROGRAMM, SEHR PRIVAT Containerfernsehen, „Bachelor“, „Dismissed“ und Abzock-TV – Die kommerziellen Ausritte des öffentlich-rechtlichen ORF
Im Lexikonstichwort finden Sie noch deutlich ausführlichere, etwas ältere Abhandlungen über den Begriff und Sinn des öffentlich-rechtlichen, insbesondere von Kommunikationswissenschaftern, aber auch von ORF-Legende und Langzeitgeneral Gerd Bacher. Dazu eine ebenfalls recht ausführliche Darstellung des ORF-Programmauftrags (Stand 2021 vor einer schon lange geplanten ORF-Novelle).
Hier zur Einstimmung ein kleiner, recht pointiert kommentierender Überblick über den ORF-Auftrag zum Ausklappen (ursprünglich war das eine Einleitung zum Programmteil in meinem ersten ORF-Buch auf DIEMEDIEN.at)
Auftrag: Unterhaltung
Des Rundfunks Kernauftrag, der ihm Gebühren sichert, bleibt über weite Strecken sehr vage. Schon wenn der ORF ganz einfach „Unterhaltung“ sendet, erfüllt er seinen Auftrag. Wenn es nicht allein bei der Unterhaltung bleibt. Hier eine recht pointierte Übersicht zum ORF-Auftrag.
Wenn Sie den „Kernauftrag“ ganz (wort-)genau und komplett haben wollen: Paragraf 4 regelt diesen Auftrag des ORF – im Wortlaut hier im ORF-Gesetz. Hier bekommen Sie eine etwas pointiertere Darstellung.
Nicht mehr „einwandfrei“
Die Unendlichkeit des ORF-Programmauftrags offenbart sich an einem Punkt besonders beeindruckend – dem 8. nämlich des Paragrafen 4 (Absatz 1) im ORF-Gesetz. Er fordert schlicht: „die Darbietung von Unterhaltung“, seit 2001 ohne weitere Präzisierung. Bis zur großen schwarz-blauen ORF-Novelle von 2001 verlangte das Rundfunkgesetz immerhin noch „einwandfreie“ Unterhaltung. Auch keine sehr präzise Vorgabe, vielleicht ein bisschen altmodisch zudem, aber immerhin der Versuch einer Eingrenzung.
Nun ist jedwede Unterhaltung ein „Kernauftrag“ des ORF, der Rundfunkgebühren vor den Wettbewerbsbehörden der EU rechtfertigt. So unbestimmt kommt kaum eine andere Vorgabe daher.
Nun kann sich der ORF mit dem breiten Unterhaltungsauftrag durchaus auf die öffentlich-rechtliche Urmutter BBC berufen, die ihre Mission gern mit Programmen und Diensten beschreibt, die „informieren, bilden und unterhalten“, und mit denen die britischen Gebührenfunker gerne „das Leben der Menschen bereichern“ möchte.
Qualitätsanspruch anderswo
Information und Bildung werden im Kernauftrag des ORF-Gesetzes aber weit ausführlicher behandelt als die Unterhaltung. Dafür wird gar ein (naturgemäß vager) Qualitätsanspruch formuliert: „Insbesondere“ Information, Kultur und Wissenschaft müssten sich „durch hohe Qualität auszeichnen“. Aus dem „insbesondere“ kann man immerhin schließen, dass diese hohe Qualität auch für andere Bereiche nicht ganz falsch wäre.
Am liebsten „angemessen“
Und in Information, Kultur und Bildung wird der Kernauftrag schon wortreicher als bei der Unterhaltung – auch wenn das doch recht vage „angemessen“ eines der häufigsten Wörter unter den 779 des Kernauftrags ist.
Europa hier, Europa da
„Umfassend“ muss der ORF „die Allgemeinheit“ informieren, und zwar „über alle wichtigen politischen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Fragen“. Er muss aber auch das Verständnis für „demokratisches Zusammenleben“ fördern, für „österreichische Identität“, und zwar „im Blickwinkel der europäischen Geschichte und Integration“, aber auch extra noch einmal Verständnis für die europäische Integration.
Nachhaltig, bitte
Nicht unbedingt umfassend, aber doch informieren sollte der ORF zudem über „Themen der Gesundheit und des Natur‑, Umwelt- sowie Konsumentenschutzes unter Berücksichtigung der Förderung des Verständnisses über die Prinzipien der Nachhaltigkeit“, über „die Bedeutung, Funktion und Aufgaben des Bundesstaates“. Die „regionalen Identitäten der Bundesländer“ soll er gar „fördern“.
Kunst, Kultur und Wissenschaft fördern
Kunst, Kultur (und die „vielfältig“) sowie Wissenschaft muss der ORF vermitteln und fördern, ebenso „österreichische künstlerische und kreative Produktion“ sowie Volks- und Jugendbildung.
Aktiver Sport, umfassende Landesverteidigung
Fördern soll der ORF neben „sozialen und humanitären Aktivitäten“ auch noch das „Interesse an aktiver sportlicher Betätigung“, das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge und für „Fragen der europäischen Sicherheitspolitik und der umfassenden Landesverteidigung“.
„Angemessen“ muss der ORF alle Altersgruppen „berücksichtigen“ und Anliegen behinderter Menschen, der Familien, der Kinder, der (gesetzlich anerkannten) Kirchen und Religionsgemeinschaften, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen, und ebenso „angemessen“ in Volksgruppensprachen senden.
Kulturelle Eigenart
Und ganz insgesamt (aber nur in Radio und Fernsehen) muss der ORF, ein bisschen redundant, „Bedacht nehmen“ auf „die kulturelle Eigenart, die Geschichte und die politische und kulturelle Eigenständigkeit Österreichs sowie auf den föderalistischen Aufbau der Republik“.
Den Kern-Geboten von Objektivität, Vielfalt, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Berichterstattung und des ORF-Personals hat sich ja schon der Politik-Teil dieses ORF-Buchs recht ausführlich gewidmet – hier geht’s direkt zurück zu diesem Kapitel.
Anspruchsvoll und ausgewogen
Soweit die Anhaltspunkte des „Kernauftrags“ zu den Inhalten und Themen. Der „Kernauftrag“ sagt aber noch ein bisschen mehr.
Der Gesetzgeber ging offenbar 2001 nicht davon aus, dass der ORF genügend anspruchsvolle Inhalte anbietet – seit damals schreibt das ORF-Gesetz dezidiert „gleichwertig“ anspruchsvolle Inhalte im „ausgewogenen Gesamtprogramm“ des ORF vor. Im Fernsehen muss der ORF „jedenfalls“ im Hauptabend „anspruchsvolle Sendungen zur Wahl“ stellen.
Unverwechselbar
Offenbar war der Gesetzgeber damals (und bis heute) nicht überzeugt, dass sich die Programme des ORF ausreichend von jenen der Privatsender unterscheidet. Seit 2001 verlangt das ORF-Gesetz wörtlich: „Im Wettbewerb mit den kommerziellen Sendern ist in Inhalt und Auftritt auf die Unverwechselbarkeit des öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunks zu achten.“ Als Konsument tut man sich damit freilich etwa auf ORF 1 und Ö3 über weite Strecken recht schwer – abgesehen vom eingeblendeten Senderlogo oder der Senderkennung.
Diese Vorgaben des ORF-Gesetzes für Anspruch im Programm werden uns in den nächsten Kapiteln ebenso beschäftigen wie die Vorgaben des Gesetzes über die Vielfalt der Genres in den ORF-Programmen.
„Angemessene“ Mischung
Das Gesetz fordert seit 2001 nämlich auch: „ein differenziertes Gesamtprogramm von Information, Kultur, Unterhaltung und Sport für alle“. Und seit der nächsten großen Novelle 2010 verlangt dieser Absatz 2 des Kernauftrags zudem: „Die Anteile am Gesamtprogramm haben in einem angemessenen Verhältnis zueinander zu stehen.“
Wobei Juristen dieses „Gesamtprogramm“ für den Laien (wie mich) ein bisschen wechselhaft auszulegen scheinen, was die Sache jedenfalls nicht einfacher macht.
Mal mit, mal ohne Spartenprogramme
Gleich im ersten Satz stellt Paragraf 4 des ORF-Gesetzes klar: Den „Kernauftrag“ muss der ORF mit der „Gesamtheit“ seiner (öffentlich-rechtlichen) Programme und Angebote erfüllen, die Paragraf 3 auflistet.
Ohne Spartensender…
Paragraf 4 betont auch, dass Spartensender und Onlineangebote den Programmen ORF 1 und ORF 2 sowie Ö1, Ö3, FM4 und ORF-Regionalradios nicht ersparen, die Programmaufträge selbst zu erfüllen. Das soll verhindern, dass der ORF (noch) mehr öffentlich-rechtliche Aufgaben in Spartensender auslagert, um die Hauptprogramme breitenwirksamer oder kommerzieller zu machen. O‑Ton: „Der öffentlich-rechtliche Kernauftrag bleibt durch die Spartenprogramme insoweit unberührt.“
…mit Spartensendern
Zugleich aber entschied der Bundeskommunikationssenat, dass die Spartenkanäle sehr wohl zu berücksichtigen wären, wenn es um das „angemessene“ Verhältnis der vier Programmsparten im „Gesamtangebot“ des ORF geht. Der Verwaltungsgerichtshof bestätigte diese Entscheidung – der wir uns hier gleich noch näher widmen werden.
Die Vorgabe „angemessener“ Anteile von Info, Kultur, Unterhaltung und Sport – und damit seinen gesetzlichen Programmauftrag – hat der ORF (zumindest) über Monate verletzt. Dafür wurde er rechtskräftig bis hinauf zu den Höchstgerichten verurteilt.