ÖVP
Die ÖVP unter Sebastian Kurz (* 27. August 1986) kann sich (meist) auf die Bundesländerzeitungen ebenso verlassen wie auf den Wiener Boulevard.
Am ORF interessieren Parteichef Kurz zunächst vor allem Ö3 und ORF.at, 2021 dann aber doch auch die ORF-Führung (Roland Weißmann löst mit ÖVP-Mehrheit im Stiftungsrat Alexander Wrabetz ab). Den starken Landeshauptleuten der ÖVP sind aber insbesondere die Landesstudios wichtig– und den Vertrauten der ÖVP im und um den ORF natürlich das Management des öffentlich-rechtlichen Medienhauses.
Kurz setzt stark – wie die FPÖ schon lange – auf eigene Medienkanäle etwa via Facebook, Whatsapp/Telegram und Mailverteiler.
In der Koalition mit den Grünen ab 7. Jänner 2020 ist Kurz als Kanzler auch ressortzuständig für Medien.
Bis er im Oktober 2021 zurücktritt im Gefolge von Hausdurchsuchungen und Ermittlungen auch gegen ihn wegen des Verdachts der Inseratenkorruption wird er Klubobmann der ÖVP im Nationalrat und bleibt Parteivorsitzender der ÖVP. Nachfolger wird Alexander Schallenberg, bisher Außenminister. Es gilt für alle Betroffenen die Unschuldsvermutung
Sebastian Kurz' Medienbeauftragter Gerald Fleischmann gibt seine Funktion parallel auf, Nachfolger wird Shilten Joseph Palathunkal, seit wenigen Tagen Fleischmanns Büroleiter.
- Die ÖVP hat traditionell enge Verbindungen zu den Bundesländerzeitungen, zur bürgerlich-liberalen Presse und zum Kurier (der gehört mehrheitlich Raiffeisen) Und damit auch zum Verband Österreichischer Zeitungen, dessen Politik die Regionalverlage wesentlich prägen.
- Die Österreichische Volkspartei drängte über die Jahrzehnte auf Zulassung privaten Radios und Fernsehens, während die SPÖ (meist) bremste und auf den öffentlich-rechtlichen ORF setzte. 2001 war es die Regierung von ÖVP und FPÖ, die erstmals bundesweites Privatfernsehen zuließ und eine eigene Medienbehörde schuf, die 2004 bundesweite Privatradiolizenzen zuließ und 2019 ruckzuck die Privatsenderförderung um ein Viertel (also um fünf Millionen Euro) erhöhte. Der Privatsenderverband VÖP steht – nicht nur mit denselben Buchstaben – der ÖVP am nächsten.
- Dennoch lag und liegt der Fokus auch der ÖVP auf Einfluss im ORF und sein Management – das weitaus größte Medienunternehmen des Landes mit politisch besetztem Aufsichtsrat. Der (parteilose) längstdienende ORF-General Gerd Bacher verdankte vor allem der ÖVP seine fünf Amtszeiten (und der SPÖ zwei Ablösen), Monika Lindler war 2002 bis 2006 bürgerliche Vertrauensfrau an der Spitze, abgelöst von Alexander Wrabetz (gegen die Stimmen der Kanzlerpartei ÖVP mithilfe deren Koalitionspartners BZÖ). Für die Zeit nach Wrabetz gibt es einige Kandidaten und Kandidatinnen – etwa Lisa Totzauer, Roland Weissmann – oder auch der beim Kurier überwinternde Richard Grasl.
- Für eine zweite Regierung Kurz lässt sich etwa ein neues ORF-Gesetz absehen. Eckpunkte: Ein Vorstand statt des Alleingeschäftsführers, weniger Beschränkungen für Audio- und Videoaktivitäten online, eine Art Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit anderen Medien; ein verschärfter öffentlich-rechtlicher Auftrag mit konkreteren Vorgaben für die einzelnen Programme und Plattformen, voraussichtlich Mindestanteilen für Österreich-Inhalte, Information, Kultur und Wort. Keine gesetzliche Vorgabe mehr für die Anzahl der Kanäle und Plattformen – das eine oder andere Programm könnte damit auf Sicht wegfallen oder sich etwa allein online in einem Streaming-Player oder im Digitalradio wiederfinden; ein Präsidium für den sonst möglichst wenig veränderten Stiftungsrat (die Formel begünstigt die ÖVP mit sechs Landeshauptleuten und zudem als Regierungspartei); kein gleichwertiges Stimmrecht für Betriebsräte im Stiftungsrat bei Personalentscheidungen; wegen der Landeshauptleute eher keine oder diese nicht betreffende Änderungen bei den GIS-Gebühren.
- Sehr nachdrücklich drängte die ÖVP – auch im Sinne von Oe24 oder Heute – auf Klarnamen- oder Ausweispflicht für Onlineforen. Wird als Maßnahme gegen Hasspostings erklärt, richtet sich aber wesentlich gegen die kritische Community des Standard (die größte und aktivste im deutschsprachigen Raum). Punkt 20 unter den "100 Projekten" der ÖVP im Wahlkampf 2019. In der Koalition mit den Grünen ist das vorerst kein Thema.
- Sebastian Kurz, ab 2017 Parteichef der "neuen" ÖVP und erstmals ab 2017 Bundeskanzler, wirkt nicht, als hielte er öffentlich-rechtlichen Rundfunk für notwendig. Entsprechend offen schien die Bundes-ÖVP schon in Kurz' erster Koalition für die FPÖ-Forderung, die GIS-Gebühr abzuschaffen. Ihre Alternative: Finanzierung aus dem Staatsbudget – die tendenziell höhere Abhängigkeit des ORF von der Politik bedeutete. Die Landeshauptleute – sechs davon der ÖVP zuzurechnen – rebellieren im Frühjahr 2019 aber gegen die Abschaffung der GIS: Sieben Bundesländer (ohne Vorarlberg und Oberösterreich) heben insgesamt rund 140 Millionen Euro Abgaben auf die GIS-Gebühren ein.
- Merke: Die ÖVP ist – über Jahrzehnte prägend – die Summe ihrer mächtigen Landesparteien und Landeshauptleute und ihrer Bünde (von Unternehmern, Arbeitnehmern, Senioren, Bauern...). Das gilt auch für die von Parteihoffnung Sebastian Kurz wesentlich gestärkten Bundes-ÖVP ab 2017.
- ÖVP-Chef Kurz interessiert sich sehr wohl für zwei wesentliche Plattformen des ORF: ORF.at (das er 2018/19 dem langjährigen bürgerlichen ORF-Mann Gerhard Jelinek (wird 2019 65) unterstellen will) und Ö3. Wenn die Ö3-Nachrichten nicht so berichten, wie Kurz sich das vorstellt, wirft er dem Sender (Frühjahr 2019) öffentlich nach dem Ministerrat – zu Unrecht – vor, er berichte falsch.
- Wie die FPÖ setzt die ÖVP unter Sebastian Kurz stark auf eigene Medienkanäle und direkten Kontakt. Sebastian Kurz' Facebook-Seite wird mit Nachdruck in die lichten Höhen von 800.000 Fans gepusht, vor HC Strache gar, der Seite unter dem Namen des langjährigen (bis 2019) FPÖ-Chefs. Kurz sagt selbst (2018), er erreiche eine halbe Million Menschen direkt über Mailverteiler beziehungsweise Whatsapp.
- Sebastian Kurz kann aber auch auf die geradezu begeisterte Unterstützung von Österreichs größter Tageszeitung, der Krone, bauen, nur vorübergehend getrübt vom überraschenden Einstieg des Immobilienmilliardärs und Kurz-Vertrauten René Benko bei Krone und Kurier (über die Beteiligungsgesellschaft der deutschen Funke-Gruppe ab Ende 2018). Unter den Kurz-Fanzines zudem: die Medien der Mediengruppe Österreich aus dem Hause Fellner. Und Heute-Herausgeberin Eva Dichand, die Frau des Krone-Herausgebers Christoph, verteidigt die Kurz-ÖVP 2019 auch heftig gegen Recherchen des Falter über die ÖVP-Wahlkampf- und Parteifinanzierung.
- Die ÖVP setzt in ihrer praktischen Medienstrategie auf "Message Control "(eine wesentliche Kommunikationsstrategie in der Regierung mit der FPÖ, Themen zu bestimmen, Konflikt nach außen zu unterbinden). Im Wahlkampf 2019 reagiert sie auf unangenehme Rechercheanfragen, indem sie das Thema rasch selbst möglichst aus einem eigenen Blickwinkel in vertrauten Medien platziert (Festplatten-Schredderaffäre, Parteifinanzen). Sie schließt Journalisten von "Hintergrundgesprächen" aus (Parteifinanzen, Falter). Und sie reagiert selbst auf Vorwürfe obskurer Quellen, die sonst womöglich niemand aufgefallen wären, offensiv – um sich selbst als verfolgt und Opfer darzustellen, um auch sachliche Kritik oder Recherchen auf eine Ebene mit haarsträubenden Anwürfen zu stellen. "Schmutzschild" beschreibt dieses Stragegie – schon Jörg Haider (FPÖ) wusste sie zu nützen, auch in Kommunikationsstrategien Russlands tauchte sie schon im Kalten Krieg auf, erinnern sachkundige Experten 2019. Kommentatoren erinnert der Umgang mit kritischem Medien an Strategien etwa der FPÖ oder Donald Trumps: Medien als eine Art politischen Gegner darzustellen.
- Neueres digitales Medium aus der bürgerlichen Welt, betrieben von Alexander Surowiec, zeitweise Sprecher des jungen ÖVP-Wirtschaftsbundes: www.fass-ohne-boden.at
- Erster Medienminister der ÖVP in Jahrzehnten: Gernot Blümel (mit Kultur, Europa, im Kanzleramt, 2017 – 2019). Medienstaatssekretär in der ÖVP-FPÖ-Regierung Schüssel war Burgschauspieler Franz Morak (mit Kultur im Kanzleramt, 2000 bis 2006).
- Mit der Koalition von ÖVP und Grünen ab 7. Jänner 2020 übernimmt Kanzler Sebastian Kurz die Medienpolitik-Agenden selbst. Zum Kanzlerbeauftragten für Medien(politik) im Kanzleramt macht Kurz seinen langjährigen Kommunikator und Vertrauten Gerald Fleischmann. Bis zu deren Rücktritt im Gefolge von Hausdurchsuchungen und Ermittlungen wegen des Verdachts der Insratenkorruption. Für sie gilt die Unschuldsvermutung.
- Eine Timeline zur türkis-blauen Medienpolitik unter Kurz I mit vielen FPÖ-Angriffen und den Vergleich zur Medienpolitik von ÖVP/FPÖ ab 2000 finden Sie im Lexikonstichwort ÖVP/FPÖ 2017 vs. 2000
- Mehr zur Medienpolitik in Österreich und ihren häufigsten Betätigungsfeldern finden Sie unter Medienpolitik.
- Und hier finden Sie mehr zum ORF und zur GIS.
Der Bezahlteil dieses Lexikonstichworts ist noch in Arbeit – allein dafür lohnt ein Bezahlzugang zu DIEMEDIEN.at vorerst nicht.
Das Letzte: Updates zum Ein-/Ausklappen
- 28. Januar 2022
Geheime Koalitions-Sideletter über ORF-Besetzungen zwischen ÖVP und FPÖ 2017 und zwischen ÖVP und Grünen 2020 - Am 28. Jänner 2022 recherchieren Profil und ZiB 2 des ORF zu ihnen zugespielten, bisher geheimen Sidelettern von ÖVP unter Sebastian Kurz und FPÖ unter Heinz-Christian Strache zu ihrem Koalitionsabkommen etwa über Posten im Verfassungsgerichtshof und über die künftige ORF-Finanzierung (Budget statt GIS) sowie über Besetzungen und Besetzungsschlüssel für den ORF-Stiftungsrat, die ORF-Geschäftsführung und Führungsjobs wie Channel Manager, Channel-Chefredakteure (großteils umgesetzt) sowie Hauptabteilungsleiter im – laut Verfassungsgesetz unabhängigen – ORF. Ex-ORF-General Alexander Wrabetz bestätigt in der Folge wunschgemäße Besetzungen, um den ORF insgesamt zu sichern, erklärte er. Die Reaktion auf diese Recherchen trägt die Handschrift der Kommunikationspolitik um Ex-Kanzler und Ex-ÖVP-Chef Kurz: An Oe24 werden an diesem 28. Jänner 2022 bisher ebenfalls geheim gehaltene Sideletter von ÖVP und Grünen über Besetzungsschlüssel im Stiftungsrat und in der ORF-Geschäftsführung geleaked (über deren Inhalte nicht nur ich im Standard seit Koalitionsbeginn ÖVP/Grüne mehrfach berichtet habe). Es geht um die Regierungsmandate im Stiftungsrat (fünf ÖVP, zwei von der ÖVP ausgesuchte "unabhängige", die allerdings an Fraktionssitzungen der ÖVP teilnehmen, und zwei Grüne) sowie um den Schlüssel für die Generals- und Direktorinnenwahl 2021 (General und zwei Direktoren im Sinne der ÖVP, zwei dürfen die Grünen nominieren). Mehr unter dem Lexikonstichwort Sideletter.
- 2. Dezember 2021
Ex-Kanzler (und ‑Medienminister) Sebastian Kurz zieht sich aus allen politischen Funktionen zurück - Am 2. Dezember 2021 gibt Sebastian Kurz bekannt, dass er sich aus allen politischen Funktionen zurückzieht. Am 9. Oktober 2021, wenige Tage nach Hausdurchsuchungen in den Umfrage/Inserate/Chat-Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, hat er seinen Rückzug aus dem Kanzleramt bekanntgegeben. Seither war er noch ÖVP-Parteiobmann sowie ÖVP-Klubobmann im Nationalrat, sein ehemaliger Kanzler-Medienbeauftragter Gerald Fleischmann wurde Referent im Parlamentsklub der Volkspartei.
- 6. Oktober 2021
„Berichterstattung und Inserat“ Sebastian Kurz‘ zur Umfrage- und Inseratenaffäre in der „ZiB 2“ - Was der damalige Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz am 6. Oktober 2021 ZiB 2-Anchor Martin Thür nach den Hausdurchsuchungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in der Umfrage- und Inseratenaffäre erklärt, ist in der Rubrik denkwürdige Dialoge über Österreichs Politik und Medien archiviert. Thür fragt Kurz mehrfach, ob es "Gegenleistungen" der Mediengruppe Österreich gegeben habe – gemeint: für Inseratenbuchungen des Finanzministeriums, worauf die sichergestellten Chats des damaligen Finanzamts-Generalsekretärs Thomas Schmid (ÖVP) hindeuten. Kurz erklärt mehrfach, dass er dafür als Außenminister nicht zuständig war und davon auch nichts gewusst habe, diese schon gar nicht gesteuert. Und dann sagt Kurz: Ich hoffe sehr, dass es eine Gegenleistung gab, nämlich Berichterstattung und ein Inserat. Das ist nämlich der Preis, den man bezahlt. Insofern gehe ich davon aus, wenn das Finanzministerium ein Inserat gebucht hat, dass es auch geschalten wurde. Später sagt Kurz noch: "Ich glaube, man sollte das Thema schon diskutieren, dass es da ein Spannungsverhältnis gibt. Dass Medien auf der einen Seite die sind, die berichten, und gleichzeitig mit der Politik über Medienförderung und Inserate verhandeln. Das ist ein schwieriges Spannungsverhältnis. Ich habe daher im Bundeskanzleramt ein ganz klares, objektiviertes System geschaffen von Anfang an, um eben nicht in solche Verhandlungssituationen zu kommen." Dieses "objektivierte" System ist eine Vergabe nach Reichweite und Auflage, nach Wolfgang Trimmel "Trimmel-Formel" benannt, dem von Werner Faymann und Josef Ostermayer (SPÖ) berufenen Chef des Bundespressedienstes. Die Gewichtung wurde unterwegs allerdings in Richtung Auflage verschoben - das kommt etwa Gratiszeitungen entgegen wie Oe24 und Heute. Das Video auf Youtube (etwa ab Minute 24)
- 10. Dezember 2020
„Für ein Inserat gibt’s ein Gegengeschäft“. „Natürlich.“ Fellner und Sobotka im denkwürdigen Oe24.TV-Dialog - Einen denkwürdigen, ikonischen Dialog über das österreichische Verhältnis von Politik, Wirtschaft und Medien, und hier jedenfalls "natürlich" solche der Familie Fellner, dokumentieren Österreich/Oe24-Herausgeber Wolfgang Fellner und der langjährige ÖVP-Spitzenpolitiker Wolfgang Sobotka am 10. Dezember 2020 im Fellner-Fernsehsender Oe24.TV. Fellner spricht den früheren Innenminister und Nationalratspräsidenten darauf an, dass er einerseits dem (damals ersten, von Ibiza-Gate ausgelösten) Untersuchungsausschuss über Korruptionsverdacht gegen Regierungsparteien vorsitzt. Andererseits aber Geld der Novomatic an einen von ihm geleiteten "Think-Tank" und ein von ihm dirigiertes Orchester in Niederösterreich geflossen sind. Fellner spricht Sobotka auf diese Zahlungen an, erst fragt er nach Spenden, die Sobotka verneint, dann nach "Halt Inserate, oder wie Sie's bezeichnen". Sobotka erklärt Fellner darauf: Sie kennen ja das G'schäft. Fürs Inserat gibt's a Gegengeschäft, oder? Fellner: Ja, natürlich.. Und beim Kultursponsoring (auch für das Orchester), sagt Sobotka, das Land Niederösterreich berate die Novomatic, wem das Unternehmen die "insgesamt sechsstellige Summe" geben solle. Das Video auf Youtube (Dialog etwa ab Minute 24:30) Eine parlamentarische Anfrage von Julia Herr (SPÖ) dazu beantwortet Wolfgang Sobotka hier – nicht.
- 20. Mai 2020
„Kleine“-Chefredakteur über Beschwerde-Anrufe von Kanzler Sebastian Kurz - Hubert Patterer, Chefredakteur der Kleinen Zeitung und nicht unbedingt ein erbitterter Gegner der ÖVP unter Sebastian Kurz, machte am 15. Mai seiner Verwunderung über den Kanzler öffentlich Luft. Patterer kritisierte in einem Leitartikel den Auftritt von Sebastian Kurz im Kleinwalsertal, wo Menschen ohne Schutzmasken und Sicherheitsabstand dem Kanzler gegen alle seine Corona-Gebote huldigten. Er schrieb im Leitartikel von "verheerender Symbolik", in die Kurz und die Seinen "berauscht vom erhofften PR-Coup in ein PR-Debakel ersten Ranges torkelten". "Mit dem entglittenen Besuch hat Kurz nicht nur seine Glaubwürdigkeit beschädigt und seine Pädagogik konterkariert, sondern vor allem jenes Gesetz, das seine Regierung erst Stunden zuvor verschärft hat: keine Zusammenrottungen mit mehr als zehn Leuten!" Kurz attestiert er wie in einem "Clip aus der Mitterer-Saga" den Genuss des Publikums eines entwöhnten Politikers, eine "nicht angemeldete Selbstvergessenheit". Kurz meldet sich mehrmals bei Patterer, schreibt er in seinem Newsletter, spricht von "Zerrbildern", er habe das Bad nicht genossen, sondern sich "unwohl" gefühlt. Kurz spricht auch in der ZiB 2 dann nicht etwa von einem Fehler, er gibt den Medien die Schuld. Die Tour werde nicht abgebrochen, wie man erwartet hätte, kritisiert Patterer. Nur "Bodenmarkierungen" für Journalisten werde es geben. Die Neos richten an Kanzler Kurz danach eine parlamentarische Anfrage ("Message Control in der Corona-Krise"), unter anderem, welche Chefredakteure er da alle durchgerufen hat.
- 3. April 2020
Corona-Sonderförderung: 35 Millionen Euro für Medien – vor allem Krone, Heute, Oe24 und Privatsender - Der Nationalrat beschließt am 3. April eine Corona-Sonderförderung für Medien, die großteils gerade in Kurzarbeit gingen etwa wegen Werbeeinbrüchen in kolportiert zweistelliger Millionnehöhe im Umfang von rund 32 Millionen Euro. Der erste Entwurf wird auf Drängen der Grünen über Nacht geändert.
- 12 Millionen für Tageszeitungen und 2,7 für Wochenzeitungen Eine geplante Förderung von 4 Euro pro gedrucktem Exemplar (Wochenschnitt 2019) wird auf 3,25 Euro reduziert. Dafür wird die sogenannte Vertriebsförderung in der Presseförderung für tägliche und wöchentliche Kauftageszeitungen um das 1,5-Fache erhöht. Ergebnis: etwas weniger Geld für die Gratiszeitungen Heute (1,7 Millionen) und Oe24/Österreich (2 Millionen Euro Sonderförderung) und für die Kronen Zeitung (gut 2,7 statt zunächst geplanter 3 Millionen), etwas mehr für die anderen Tageszeitungen und auch eine Sonderförderung für Wochenzeitungen (rund 2,7 Millionen für mehr als 30 Titel). Die reguläre Bundes-Presseförderung beträgt 8,9 Millionen Euro jährlich.
- 15 Millionen Corona-Sonderförderung bekommen kommerzielle Privatsender. 2019 erhöhten ÖVP und FPÖ den Privatrundfunkfonds für sie von 15 auf 20 Millionen Euro jährlich. Die größten Förderungen gingen bei den jüngsten Antragsterminen an ProSiebenSat1Puls4 inklusive ATV und an Oe24TV der Mediengruppe Österreich.
- 2 Millionen Sonderförderung sollen nichtkommerzielle Privatsender wie Okto und Orange bekommen, sie erhalten regulär pro Jahr 3 Millionen Euro vom Bund.
- Aufgestockt im Juni: Im Juni 2020 kündigt Kanzler Kurz' Medienbeauftragter Gerald Fleischmann weitere 3 Millionen Euro Sonderförderung für regionale Wochen- und Monatsblätter (Kauf und gratis) an.
- 30. März 2020
Mehrere Jahre Gefängnis für „Falschnachrichten“ in Ungarns Notstandsgesetzen zu Corona - Das ungarische Parlament setzt am 30. März 2020 mit der Zweidrittelmehrheit von Viktor Orbáns Fidesz-Partei Notstandsgesetze zur Corona-Krise in Kraft, die das Parlament praktisch aushebeln: Orbán regiert – zeitlich unbefristet – per Dekret, Bürgerrechte können beschränkt oder ausgesetzt werden, Wahlen und Volksabstimmungen finden in diesem Ausnahmezustand nicht statt. Für "Falschnachrichten", die Maßnahmen der Regierung gegen Corona behinderten, drohen nun mehrjährige Gefängnisstrafen. Es waren die wenigen verbliebenen regierungsunabhängigen und regierungskritischen Medien wie die Plattform 444.hu oder das Magazin HVG, die frühzeitig über die Virusgefahr berichteten – während Regierungsstellen sie noch als Ausländer-Problem abtaten. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wollte die Notstandsgesetze in Ungarn nach dem Beschluss nicht kommentieren – er habe mit Corona-Maßnahmen in Österreich zu tun. Amnesty International Ungarn sieht insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Medienfreiheit, die Arbeit von Gerichten und das Eigentumsrecht in Gefahr. Amnesty Österreich spricht von "in Summe diktatorischen Zustände jenseits jeder Kontrollierbarkeit".
- 15. März 2020
Regierungskampagne zur Corona-Krise für kolportierte 15 Millionen Euro - Die Regierung reagiert ab 15. März 2020 mit einer gewaltigen Werbekampagne auf Werbeausfälle bei Österreichs Medienhäusern als Corona-Folge ("Schau auf dich, bleib zuhause"). Kolportiertes Volumen: 15 Millionen Euro. 2019 gab die Regierung insgesamt für Werbung rund 25 Millionen Euro aus. Gerald Grünberger, Geschäftsführer des Zeitungsverbandes VÖZ spricht im Ö1-Mittagsjournal (28. März 2020) von Stornoraten im Bereich von 40 bis 50 Prozent und Ausfällen von rund 40 Millionen Euro bei Österreichs Zeitungen, Zeitschriften und Fachzeitschriften. Verleger rufen nach Sonderförderungen für Druck und Vertrieb und schicken ihre Medienunternehmen reihenweise ab April 2020 in Kurzarbeit.
- 8. Februar 2020
„Kurier“: Nächtlicher Einsatz von Richard Grasl zu Kurz‘ Justizvorwürfen - Um 1.13 Uhr in der Nacht auf 8. Februar 2020 ging – laut APA-Datenbanken – auf kurier.at der Artikel online: "Streit um die Justiz: Wie die SPÖ ihr Personal unterbringen wollte". Untertitel: "Unterlagen belegen, dass die SPÖ schon im Jahr 1997 generalstabsmäßig ihren Einfluss bei Richtern und Staatsanwälten ausbauen wollte". Das Papier aus 1997 wird in diesen Tagen von der ÖVP vielen Redaktionen ans Herz gelegt, um die Vorwürfe von Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz in einem Hintergrundgespräch im Jänner zu untermauern, die Justiz sei von der SPÖ unterwandert und würde alleine gegen ÖVP und FPÖ vorgehen und Material aus diesen Erhebungen leaken. Das Kurier-Innenpolitikressort wollte, soweit in Erfahrung zu bringen, vor der Veröffentlichung noch recherchieren. Richard Grasl, für Web zuständiges Mitglied der Kurier-Chefredaktion, schreibt die Story spätnachts ohne Rückfragen bei Maria-Luise Nittel, die in dem Papier als Teilnehmerin einer Strategiebesprechung von SPÖ-nahen Juristen genannt wird und im Artikel als Beispiel für SPÖ-Unterwandung vorkommt. Die heutige Leiterin der Staatsanwaltschaft Wien hätte den Kurier daran erinnern können, dass der Kurier bereits 2011 nach ihrer Klage eine Gegendarstellung brachte, dass sie 1997 weder eingeladen war noch teilgenommen hat. Darauf weisen Nittel und Justizministerium den Kurier am Samstag nach der Veröffentlichung hin, der bringt aber keine Richtigstellung, sondern ergänzt nur Nittels Dementi und einen Link zur alten Gegendarstellung. Nun klagt Nittel 2020 nach eigenen Angaben ein zweites Mal den Kurier in derselben Sache. Das Justizministerium weist den Presserat auf den Kurier-Bericht und eine ähnliche Vorgangsweise bei oe24.at hin. Auch in der Presse soll die Story übrigens einen für eine Innenpolitikgeschichte nicht ganz üblichen Weg an die Öffentlichkeit gefunden haben. Der Redakteursauschuss des Kurier protestiert gegen die nächtliche Story ohne Namensnennung oder Kürzel und verlangt für die Zukunft Rücksprache mit Ressortleiter oder -stellvertreter. Zwei Wochen darauf, mit dem Relaunch des Kurier am 24. Februar 2020 bekommt der Kurier auf Seite 2 eine schöne neue Rubrik "Was uns heute bewegt...", jedenfalls in den ersten Tagen mit der Byline: "Richard Grasl aus dem Kurier-Newsroom".
- 13. Januar 2020
ORF-Doku über Sebastian Kurz passt auch auf Youtube-Channel des ÖVP-Chefs - Gerhard Jelineks Doku Wer ist Sebastian Kurz? für den Hauptabend von ORF 1 am 2. Jänner, gleich nach der Koalitionseinigung von ÖVP und Grünen, gefiel der ÖVP offenbar so gut, dass sie die 50 Minuten ORF-Programm sehr prompt auf den Youtube-Channel ihres Parteichefs Sebastian Kurz stellt. Der ORF erklärt sich grundsätzlich mit der "nicht kommerziellen" Nutzung einverstanden.
- 7. Januar 2020
Koalition ÖVP/Grüne: Kanzler Kurz als Medienminister, Message Controller Fleischmann als Medienpolitik-Beauftragter - Am 7. Jänner 2020 wird die erste Regierungskoalition von ÖVP und Grünen unter Kanzler Sebastian Kurz mit Vize Werner Kogler angelobt. Ihr Regierungsprogramm verspricht
- im Gegensatz zu ÖVP/FPÖ Medienfreiheit und Unabhängigkeit zu als medienpolitische Leitprinzipien,
- einen "unabhängig finanzierten ORF", gesetzlich zur Zusammenarbeit mit Privaten verpflichtet und mit für die Öffentlichkeit zugänglichem Archiv,
- einklagbares Recht auf "Informationsfreiheit" statt Amtsgeheimnis und Amtsverschwiegenheit,
- die "Marke" Wiener Zeitung ohne Pflichtveröffentlichungen in Papierform,
- eine "Überprüfung" und Angleichung von Medienförderungen, einen Medienfonds und eine Startup-Initiative,
- Maßnahmen gegen Hass und Desinformation im Netz,
- höhere Strafen für Medien, die Identität und Privatsphäre von Opfern missachten
- 20. Juli 2019
Schredder-Gate: „Falter“ recherchiert bei ÖVP – und die spielt die (verkürzte) Story via „Kurier“ hinaus - Falter-Chefredakteur Florian Klenk (* 23. Juni 1973) konfrontiert Sebastian Kurz' ÖVP in der vorvorletzten Juliwoche 2019 (KW 29) mit seinem Informationsstand über einen ungewöhnlichen Vorgang beim Abschied der Kurz-Mannschaft aus dem Kanzleramt am 23. Mai 2019 - eine Recherche für den am 24. Juli erscheinenden Falter: Arno M., Leiter der Social-Media-Abteilung im Bundeskanzleramt unter Sebastian Kurz, nahm fünf Festplatten aus dem Kanzleramt mit und ließ sie beim Aktenvernichtungsprofi Reisswolf vernichten - er besteht auf drei Schredder-Vorgänge in seinem Beisein, nimmt die Platten-Brösel wieder mit, und das unter falschem Namen und Adresse, aber mit richtiger Mobilnummer, und ohne die Rechnung über 76 Euro zu bezahlen. Die ÖVP spielt Klenks Infos aus seiner Anfrage (nach dessen Darstellung) teilweise und von ihr geframed schon für die Samstagausgabe des 20. Juli an den Kurier. Da ist etwa nur von einer Festplatte die Rede – die ÖVP bleibt bis zum Falter-Bericht bei dieser Version.
- 1. September 2018
Neuer Geschäftsführer für die Wiener Zeitung - Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) verlängert den bis Ende Juni 2019 laufenden Vertrag des von Faymann/Ostermayer (SPÖ) eingesetzten Sozialdemokraten Wolfgang Riedler als Chefredakteur der republikseigenen Wiener Zeitung nicht. Martin Fleischhacker (* 21. November 1975)), Chef von IT und Rechnungswesen des Republiksorgans, rückt per 1. September nach.
- 7. Juni 2018
Medienenquete der Regierung: Inszenierung, Finanzierung - Zwei Tage große, perfekt organisierte Medienenquete mit internationaler Besetzung (Zeiler, Doepfner, Jourova, Pörksen) am 7. und 8. Juni 2018. Keine relevanten Stimmen für Budgetfinanzierung des ORF, aber viele für Gebühren. Breitenecker (ProSiebenSat1) rückt von Forderung nach Gebühren für Private ab (will aber einen Anteil an ORF-Werbeeinnahmen). Blümel fasst zusammen – und vermeidet dabei ORF-Themen, insbesondere die Finanzierung. Nun geht es ans ORF-Gesetz. Aber nicht rasch genug, um vor #Ibizagate ein knappes Jahr darauf damit fertig zu werden.
- 25. Mai 2018
Neue, passende Chefs und Chefredakteure fürs ORF-Fernsehen bestellt - ORF-General Alexander Wrabetz bestellt nach rund einem Jahrzehnt Debatte darüber die - seit Regierungsantritt im November 2017 - Fixstarter zu Channel Managern und Chefredakteuren: Lisa Totzauer und Wolfgang Geier für ORF 1, Alexander Hofer und Matthias Schrom-Kux für ORF 2. TV-Chefredakteur (und Sozialdemokrat) Fritz Dittlbacher hat mit der neuen Struktur keinen Job mehr.
- 17. Mai 2018
Norbert Steger (FPÖ) wird gemäß Regierungsdeal Stiftungsratschef - Der frühere FPÖ-Chef, Vizekanzler und Rechtsanwalt Norbert Steger wird nach einer kleinen Abkühlphase öffentlicher Zurückhaltung Vorsitzender des ORF-Stiftungsrats, des zentralen ORF-Entscheidungsgremiums. Nun 15 ÖVP-nahe, 8 FPÖ-nahe, ein unabhängiger Katholikenvertreter und der Stiftungsrat des rot-blauen Burgenland wählen ihn. Franz Medwenitsch (ÖVP) wird einstimmig zum Vize wiederbestellt.
- 17. Februar 2018
ÖVP und FPÖ machen ihre faktische Zweidrittelmehrheit im ORF fix - Franz Küberl, seit 20 Jahren unabhängiger Kurator/Stiftungsrat im obersten ORF-Gremium, erfährt, dass er sein Mandat los ist. Der Präsident des Katholischen Familienverbands übernimmt sein Regierungsmandat (er betont, er agiere so unabhängig wie Küberl); die FPÖ bekommt dafür den Sitz der oberösterreichischen Landesregierung. Immerhin: 2000 bekam die ÖVP 6 Regierungsmandate, die FPÖ nur drei.
- 29. Dezember 2017
ÖVP-Medienminister Blümel sieht ORF als „Steigbügelhalter“ für private Medien - Der neue Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) sagt im Standard-Interview, er sieht die Rolle des ORF als "Steigbügelhalter" und "Schuhlöffel" für private Medien, etwa bei einer gemeinsamen Digitalplattform. Auf Gebührenfinanzierung will er sich nicht festlegen.
- 1. Juni 2017
Wahlkampf 2017: Die Medien und Sebastian Kurz - Den Nationalratswahlkampf 2017 prägt die Begeisterung vieler Medien - von Krone bis Österreich, von Kleine Zeitung und Die Presse bis Profil - für ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz. Die Medienstrategie von Kurz' Kompagnons wie Strategieberater Stefan Steiner, Sprecher Gerald Fleischmann, Mediastratege Philipp Maderthaner funktioniert ausgezeichnet. Im Gegensatz zu Kampagne und Kommunikation der SPÖ unter Christian Kern – von internen "Prinzessinnen"-Befunden bis zu den "Die Wahrheit über..."-Facebookseiten von Tal Silberstein und seinen österreichischen Epigonen.