ORF-Gesetzesnovelle 2022: Erste gemeinsame Vorstellungen der Regierung ÖVP/Grüne im Ministerratsvortrag von Kanzler Sebastian Kurz
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Am 29. September 2021 beschließt die Regierung von ÖVP und Grünen in einem Ministerratsvortrag des für Medien zuständigen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, dass das Bundeskanzleramt bis Jahresende einen Entwurf (oder eine Punktation) für eine Novelle zum ORF-Gesetz vorlegen soll. Das hat sich die Regierung eigentlich schon mit dem Regierungsübereinkommen von Anfang 2020 vorgenommen, der Ministerratsvortrag wird nicht wesentlich konkreter.
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Es geht vor allem um mehr Möglichkeiten für den ORF im Web – mit Blick auf die geplante Streamingplattform ORF-Player. Der ORF will Formate eigens oder zuerst fürs Netz produzieren können (bisher darf er nur im Web zeigen, was im Rundfunk schon lief). Und er soll die Programme im Web länger als sieben Tage anbieten können. Eine unabhängige, nachhaltige Finanzierung (GIS) auch für den digitalen Transformationsprozess steht auch in Kurz' Ministerratsvortrag, geknüpft an "strukturelle Vorgaben". Die Presse interpretiert das im September 2021 als Gebühren auch für Streaming (Schließen der "Streaminglücke"). Tatsächlich vom ORF angekündigt ist eine Anmeldeschranke mit GIS-Nummer für einen Teil der Player-Inhalte.
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Wortlaut des Minsterratsvortrrags unten in diesem Lexikonstichwort als Text und PDF.
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Die Grünen rechnen nun mit einem ORF-Gesetzesentwurf bis Jahresende, in der ÖVP ist auch von einer Punktation die Rede.
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Der Kanzler wartete mit dem schon seit Sommer zwischen ÖVP und Grünen akkordierten Ministerratsvortrag noch die ORF-Generalsbestellung am 10. August 2021, die Bestellung des ORF-Direktoriums am 16. September 2021 und auch die oberösterreichische Landtagswahl am 26. September 2021 ab.
Der Ministerratsvortrag von Kanzler Sebastian Kurz vom 29. September 2021 zur geplanten ORF-Novelle im Wortlaut
Vortrag an den Ministerrat
72/15
Sicherung und Stärkung des Medienstandortes Österreich – die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im fairen Wettbewerb
Der Österreichische Rundfunk (ORF) als größtes Medienunternehmen des Landes ist auf Grund seines gesetzlichen Auftrags der objektiven und vielfältigen Information sowie einem breiten Programmangebot auf allen technischen Verbreitungswegen verpflichtet. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Teil des dualen Systems hat auf Grund seiner Finanzierungsstruktur einerseits Verantwortung gegenüber dem privaten Marktumfeld, und andererseits die Verpflichtung programmliche und technologische Innovationen – im Interesse des österreichischen Publikums anzubieten. Die Entwicklungen der Medienmärkte, insbesondere der digitalen Geschäftsfelder, haben in den letzten Jahren eine rasante Steigerung gezeigt. Die Rahmenbedingungen des ORF wurden diesbezüglich zuletzt vor 11 Jahren angepasst und bedürfen auf Grund des raschen Wandels einer neuerlichen Anpassung. Ziel muss es sein, den ORF sowohl im nationalen als auch im internationalen Wettbewerb als konkurrenzfähiges Medienangebot zu positionieren und seine unabhängige Finanzierung weiterhin sicher zu stellen. Mit der Digitalisierung einhergehend unterliegt auch das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer – vor allem der jüngeren Zielgruppe – einem unübersehbaren Wandel. Der ORF muss künftig in die Lage versetzt werden, auf dieses geänderte Nutzerinnen- und Nutzerverhalten mit zeitgemäßen, qualitativen linearen und non-linearen öffentlich-rechtlichen Angeboten eingehen zu können.
Wie bereits im Regierungsprogramm 2020–2024 „Aus Verantwortung für Österreich“ dargestellt, ist vor allem die Anpassung des öffentlich-rechtlichen Auftrags an das digitale Zeitalter unter Berücksichtigung der europarechtlichen Rahmenbedingungen notwendig. Im Wettbewerb mit international agierenden Plattformen wird es immer herausfordernder und notwendiger, die kreative Leistung österreichischer Produzentinnen und Produzenten sowie den Public Value, also den gesellschaftlichen Mehrwert des öffentlich-rechtlichen Programms, in seiner Vielfalt zu erhalten und zu fördern, eigenständige Inhalte zu produzieren und Programminnovationen zu ermöglichen.
Um die Rahmenbedingungen zur Bewältigung dieser Herausforderungen entsprechend zu gestalten, ist eine Novelle des ORF-Gesetzes geboten. Dabei muss jedoch sichergestellt werden, dass sich das öffentlich-rechtliche Programmangebot im Onlinebereich von jenem der privaten Medienunternehmen ––unterscheidet. Dazu sollen Maßnahmen normiert werden, die sicherstellen, dass der heimische Wettbewerb durch die neu geschaffenen Möglichkeiten des ORF im Online-Bereich nicht unverhältnismäßig verzerrt und europarechtlichen Normen entsprochen wird. Unter dieser Maßgabe ist sicherzustellen, dass die meistgenutzte Nachrichtenwebsite Österreichs, orf.at, erhalten und weiterentwickelt werden kann.
Um den ORF fit und konkurrenzfähig für die Zukunft zu machen, muss neben dem öffentlich-rechtlichen Auftrag daher auch der besondere Auftrag für das Online Angebot des ORF angepasst werden. Beispielhaft zählen dazu die Bereitstellungsfrist von Inhalten, die eigenständige Gestaltung von Apps sowie die Präsenz auf digitalen Dritt-Plattformen. Darüber hinaus ist die Schaffung einer digitalen Präsenz, die im Angebot das derzeitige Angebot übersteigt, insofern zu ermöglichen, als der ORF im Wettbewerb mit großen, nicht-linearen Anbietern von audiovisuellen Inhalten konkurrenzfähig werden muss. Die im Regierungsprogramm verankerte Schaffung eines gemeinsamen „ORF-Players“ in Kooperation zwischen ORF und privaten Anbietern, bleibt ein wichtiges medienpolitisches Vorhaben und kann die Grundlage für weitere Kooperationen im Interesse einer zukunftsfähigen österreichischen Medienlandschaft bilden.
Gleichzeitig ist mit diesen Öffnungsschritten auch die Finanzierung des ORF zu überarbeiten, die jedenfalls eine Neuordnung der kommerziellen Kommunikation vorsieht, um auch den gebotenen europarechtlichen Vorgaben zu entsprechen. Überdies muss bei einer erhöhten Nutzung des Onlineangebots eine Beteiligung am Digitalisierungsfonds durch kommerzielle Erlöse sichergestellt werden. Zur Umsetzung des digitalen Transformationsprozesses des ORF wird die notwendige Finanzierung gesetzlich sichergestellt werden und an strukturelle Parameter geknüpft sein. Bei der zukünftigen Finanzierung des ORF muss stets die Unabhängigkeit und die Nachhaltigkeit sichergestellt sein.
Ich stelle daher den Antrag,
die Bundesregierung wolle den Bericht zustimmend zur Kenntnis nehmen, den Bundeskanzler mit der Erarbeitung der erforderlichen legistischen Änderungen bis Ende des Jahres 2021 beauftragen und die Bundesministerien dazu anhalten das Bundeskanzleramt bei der Sicherung und Stärkung des Medienstandortes Österreich zu unterstützen.
29. September 2021
Sebastian Kurz Bundeskanzler