SIDELETTER ORF Regierungsabsprachen abseits des Koalitionsprogramms von ÖVP und FPÖ 2017 und ÖVP und Grünen 2020 zu Medien
Budgetfinanzierung für den ORF statt GIS. Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) haben 2017 in einem Sideletter zu ihrem Koalitionsabkommen das Ende der GIS und die – noch staats- und politikabhängigere – Budgetfinanzierung für den ORF schriftlich vereinbart. Zudem eine Reihe von Umbesetzungen im ORF-Führungspersonal und seinen Gremien.
Sideletter oder Nebenabsprachen zwischen Koalitionspartnern über Postenbesetzungen – etwa auch im ORF – werden immer wieder kolportiert. Am 28. Jänner 2022 werden zwei dieser Koalitionsabsprachen im Zuge von Ermittlungen der Wirtschafts- und Koalitionsstaatsanwaltschaft via Profil und ZiB 2 bekannt: zwischen ÖVP und FPÖ 2017 und zwischen ÖVP und Grünen 2020.
ÖVP und Grüne 2020 legen – jedenfalls laut vorliegendem Sideletter – zum ORF lediglich einen Schlüssel für die neun Regierungsmandate im ORF-Stiftungsrat fest. Fünf gingen an die ÖVP, zwei "Unabhängige" würden von der ÖVP vorgeschlagen (zwei recht klar der ÖVP zuzurechnende Personen, die dann auch an ÖVP-Freundeskreissitzungen teilnehmen und mit dem Freundeskreis stimmen) sowie zwei von den Grünen. "Alle Besetzungen auf Basis Kompetenz und Qualifikation", halten sie noch schriftlich fest. Die Mandatsverteilung war der Schlüssel der der ÖVP alleine eine klare Mehrheit für die ORF-Generalswahl 2021 sicherte. Den Grünen ist auch der Vorsitz im Stiftungsrat versprochen: "Bezüglich der Zusammenarbeit im ORF-Stiftungsrat wird auf die Vereinbarung der Vorsitzenden der Freundeskreise der Koalitionspartner verwiesen. Die Grünen haben das Vorschlagsrecht für den Stiftungsratsvorsitzenden, wenn dieser zur Wahl steht."
Für die Generalswahl 2021 vereinbaren ÖVP und Grüne in einem weiteren Sideletter vom Sommer 2020, dass "die bestqualifizierten Persönlichkeiten entsprechend der Kritierien des ORF-Gesetzes beim künftigen ORF-Direktorium zum Zug kommen sollen". Aber: "Es wird ein Verhältnis von 3:2 für die ÖVP sowie der Generaldirektor für die ÖVP festgelegt. Beide Seiten verpflichten sich auch möglichst je eine weibliche Person zu nominieren." Und: "Dazu beginnen die Freundeskreise bzw. von beiden Seiten nominierten Stiftungsräte eine Personalsuche. Die dabei gefundenen Personen werden eingeladen sich zu bewerben.“
ÖVP und FPÖ 2017 vereinbaren zu Medienthemen im Sideletter die Budgetfinanzierung statt der GIS und verweisen auf einen weitere, dem Sideletter beigelegte, aber zunächst nicht veröffentlichte Absprache zwischen Norbert Steger (FPÖ-Stiftungsrat) und Thomas Zach (Fraktionssprecher der ÖVP-Stiftungsräte), aus der Profil Ende Jänner 2022 zitiert. Kursiv = wörtlich im Koalitions-Sideletter:
- ORF-Budgetfinanzierung. „Es gibt Einvernehmen darüber, dass die ORF-Gebühren unter Voraussetzung budgetärer Machbarkeit in das Budget des Bundeshaushalts übergeführt werden. Den Zeitpunkt vereinbaren die beiden Koalitionspartner gemeinsam.“
- ORF-Stiftungsrat. Die Absprache legt fest, dass Norbert Steger (FPÖ) Vorsitzender des obersten ORF-Gremiums wird. Würde er ausscheiden, läge die Nachnominierung laut Absprache bei der ÖVP.
- ORF-Direktorium. Bei Neubestellung des ORF-Direktoriums sollte die ÖVP den Generaldirektor und zwei Direktoren bestimmen, die FPÖ zwei Direktoren. Mit einem neuen ORF-Gesetz sollte es nur noch vier Direktoren geben, davon einer der Generaldirektor mit Dirimierungsrecht (bei Stimmengleichstand). Schlüssel: General und ein Direktor ÖVP, zwei Direktoren FPÖ.
- ORF-Führungspersonal. Unter „kurzfristige Maßnahmen“ wurden laut Profil neun Besetzungen von ORF-Führungsjobs vereinbart: 2 Chefredakteure, 2 Channel Manager, Leiter von Rechts- und Personalabteilung, 2 Hauptabteilungsleiter und ein Sendungsverantwortlicher (nicht alle Funktionen wurden später auch so besetzt). Im Ermittlungsakt findet sich laut Profil eine Liste mit Namen von ORF-Leuten, alle nur mit Kürzeln erfasst. Im Mai 2018, wenige Monate nach Antritt der türkisblauen Regierung, wurden etwa Lisa Totzauer und Alexander Hofer Channel Manager von ORF 1 und ORF 2, Wolfgang Geier und Matthias Schrom Chefredakteure der beiden Sender. Personalchefin wurde Kathrin Zierhut (FPÖ) (die vereinbarte S.S. zog ihre Bewerbung zurück). Rechtschef aber Markus Kastner aus dem Büro des damaligen ORF-Generals Alexander Wrabetz. In späteren FPÖ-internen Chats fragt Steger noch nach Vereinbarungen über die Online-Chefredaktion, in der Gerhard Jelinek als ÖVP-Kandidat dafür genannt wird, eine Kurier-Redakteurin als Stellvertreterin sowie ein ehemaliger FPÖ-Mitarbeiter als Geschäftsführer der ORF-Onlinetochterfirma.
- Verfassungsgerichtshof und Krone. Sehr genau regelt der Sideletter zwischen Kurz und Strache auch Bestellungen für den Verfassungsgerichtshof. Für die Nachfolge eines Mitglieds des Höchstgerichts wird im Sideletter der Anwalt und Krone-bunt-Kolumnist Tassilo Wallentin (als "unabhängig") genannt. Wallentin bekommt die Funktion nicht. Aber der insbesondere auf Medienrecht spezialisierte Anwalt Michael Rami, der lange die FPÖ vertritt sowie weiterhin Kronen Zeitung / Heute / Dichands vertritt.
"Deutlicher Widerspruch zum Geist des Verfassungsgesetzes" und "über das gesetzlich Zulässige hinaus". Der renommierte Experte für öffentliches Recht und insbesondere Rundfunkrecht Hans Peter Lehofer sieht beide Absprachen – teils weit – jenseits des bestehenden Rechts. Seinen lesenswerten Blogeintrag zu den Sidelettern finden Sie unter diesem Link. Weitere renommierte Rundfunkrechtler haben sich auf meine Anfrage seiner Sicht inhaltlich angeschlossen, nicht alle in dieser pointierten Form.
Links:
Profil im Jänner 2022 über den Sideletter
ZiB 2/ORF.at im Jänner 2022 über den Sideletter
Wie kam der Sideletter von ÖVP und FPÖ zur Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft?
Laut ORF.at kam das so: Der Klubdirektor der FPÖ, Norbert Nemeth, wurde von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Jänner 2021 zur Aussage geladen. Mit im Gepäck hatte er jenes Dokument, das bisher gut verschlossen im Tresor des freiheitlichen Parlamentsklubs gelegen sei.
Der Sideletter von ÖVP und Grünen wurde am Tag der Publikation des türkisblauen Papiers hinausgespielt, etwa an Oe24, wohl auch zur Relativierung des türkisblauen Papiers. Man darf raten, wer es hinausspielte.