Der Verfassungsgerichtshof machte in Österreich schon mehrfach Medienpolitik - vor allem, wenn der Gesetzgeber, also gemeinhin die Regierungsmehrheit im Nationalrat, nicht oder sehr zögerlich agiert (Beispiele):

GIS-freies Streaming verfassungswidrig. Am 30. Juni 2022 entscheidet das Höchstgericht nach einer Beschwerde des ORF: Dass eine wesentliche Nutzungsmöglichkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bisher ohne GIS-Programmentgelte an den ORF möglich ist, widerspricht der Verfassung. Die Verfassungsrichter halten zudem fest, dass die Republik für die ausreichende Finanzierung eines unabhängigen Rundfunks sorgen muss. Bis Ende 2023 hat der Gesetzgeber nun Zeit, eine neue GIS-Regelung für alle wesentlichen Nutzungsmöglichkeiten zu finden.

Burgenland bringt "zuviel Regierungsnähe" der ORF-Gremien vor Höchstgericht - Entscheidung noch offen. Am 28. Juni beschließt die Landesregierung des Burgenlands einen Antrag auf Normenkontrolle des ORF-Gesetzes durch den Verfassungsgerichtshof. Das Bundesland moniert"zu viel Einfluss auf die Bestellung der Aufsichts- und Kontrollorgane des ORF, die eigentlich völlig unabhängig sein sollten": "Erstens wird der überwiegende Teil sowohl der Mitglieder des Stiftungsrates als auch des Publikumsrates von der Regierung bzw. vom Bundeskanzler bestellt. Zweitens gibt es keine Regelungen, die Unabhängigkeit und Qualifikation der Mitglieder dieser bedeutenden Gremien sicherstellen. Drittens gibt es für diese Bestellungen weder ein öffentliches Auswahl- oder Besetzungsverfahren noch gibt es eine Möglichkeit, diese Besetzungen einer unabhängigen gerichtlichen oder behördlichen Kontrolle zu unterziehen." Die Entscheidung des Höchstgerichts darüber könnte wieder Medienpolitik machen. Mehr zur Vorgeschichte der Normenprüfung hier. In Deutschland bestimmte der Bundesverfassungsgerichtshof 2014 am Beispiel des ZDF, dass nur höchstens ein Drittel der deutschen Öffi-Gremien mit "staatlichen und staatsnahen Personen" besetzt sein darf.

Facebook-Verbot für ORF verfassungswidrig Am 27. Juni 2013 hob das Höchstgericht das sogenannte Facebook-Verbot im ORF-Gesetz auf und teilte mit: "Es verstößt gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Meinungsäußerungsfreiheit und Rundfunkfreiheit, wenn dem ORF Verlinkungen und Kooperationen mit sozialen Netzwerken verboten werden. Es gibt keine besonderen Umstände, die eine solche Regelung rechtfertigen würden." Die Entscheidung finden Sie hier. Im März 2014 stellte das Höchstgericht zudem fest, dass der ORF auch die Beitrags- und Kommentarfunktion auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken nutzen darf, auch wenn das Gesetz ihm selbst den Betrieb ständiger Foren untersagt. Die Entscheidung finden Sie hier.

Privatfernsehen, das den Namen verdient, bringt in den 1990ern erst der Verfassungsgerichtshof auf den Weg. Privatfernsehen, das den Namen verdient, bringt erst der Verfassungsgerichtshof auf den Weg: Im Juli 1993 hat die SPÖ-ÖVP-Regierung den Kabelnetzen österreichisches Programmangebot erlaubt – aber nur Text und Standbilder, zudem ohne Werbung. Im September 1995 heben die Verfassungsrichter nach Beschwerden das Verbot von Bewegtbild auf, die Entscheidung finden Sie hier im Wortlaut.  Im Oktober 1996 kippt der Verfassungsgerichtshof nach weiteren Beschwerden auch das Werbeverbot für Kabel-TV, die Entscheidung finden Sie hier im Wortlaut. Mehr zur schwierigen Geschichte des Privatrundfunks in Österreich unter diesem Lexikonstichwort.

Den Privatradio-Start in Österreich gestaltete der Verfassungsgerichtshof wesentlich mit. Am 27. September 1995 hebt das Höchstgericht wesentliche Teile des Regionalradiogesetzes auf, das damals die erstmalige Zulassung privater Radiostationen regelt. Die Frequenzvergabe sei nicht ausreichend gesetzlich festgelegt, monieren sie. Mit der Entscheidung ist auch ein Großteil der bereits vergebenen Radiolizenzen aufgehoben. Nur die Antenne Steiermark und Radio Melody in Salzburg einigen sich mit den Beschwerdeführern gegen ihre Lizenzen (mit Beteiligungen oder Sendezeit), die ziehen ihre Beschwerden zurück und die beiden Sender können on air gehen. Sie führen dem ORF sehr deutlich, aber nur in zwei regionalen Teilmärkten und nicht österreichweit vor Augen, dass Ö3 noch nicht auf die private Konkurrenz vorbereitet ist. Bis Privatradios mit 1. April 1998 in ganz Österreich starten können (der Gesetzgeber braucht noch eine Weile), ist das ORF-Popradio noch einmal gründlich und professinell reformiert, um den privaten Großangriff abzuwehren.

Zur Objektivität der ORF-Berichterstattung, vorgeschrieben vom Bundesverfassungsgesetz Rundfunk aus 1974, lieferte der Verfassungsgerichtshof eine grundlegende Definition. Ein gewisser Jörg Haider, damals FPÖ-Chef, sah damals seine Enthüllungen und seine Meinung über persönliche Bereicherung in der Arbeiterkammer Steiermark nicht ausreichend im ORF abgebildet. Er beschwerte sich bis hinauf zu den Höchstrichtern – und blitzte durchwegs ab. Der seither gern zitierte Schlüsselsatz in der Entscheidung unter Geschäftszahl B468/91: „Soweit der Beschwerdeführer eine Berichterstattung bestimmten Inhaltes und Umfanges fordert oder der Auffassung anhängt, er habe als Obmann einer politischen Partei ein Recht darauf, dass der ORF über seine Ansichten zu bestimmten Angelegenheiten in einer seinen Intentionen entsprechenden Weise berichte, ist ihm entgegenzuhalten, dass die Frage der Auswahl und Gewichtung dieser Berichterstattung über bestimmte Ereignisse, Vorkommnisse oder Meinungen innerhalb des schon wiedergegebenen rundfunkverfassungsrechtlichen Rahmens – bei Sendungen, die der ORF selbst gestaltet – Sache des ORF ist.“ Viele der Entscheidungen über Objektivität, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit betonen zudem: Maßstab sind nicht einzelne Beiträge, sondern die gesamte Sendung oder die gesamte Berichterstattung. Auch für Kommentare gilt der Gesamtkontext, solange sie nicht polemisch oder tendenziös sind. Nur sehr eingeschränkt sehen die Gerichte Anspruch auf Einladung zu Diskussionen oder auf eine bestimmte Form der Stellungnahme. 2002 hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH B 30/01) einen Maßstab zur Beurteilung von Objektivität und Co. festgelegt – wiewohl einen nicht gerade millimetergenau verwendbaren: den Eindruck des Durchschnittskonsumenten. O‑Ton: „Zur Beurteilung einer allfälligen Verletzung der bundes(verfassungs)gesetzlich statuierten Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung ist eine Gesamtbetrachtung der jeweiligen Sendung anzustellen, so dass einzelne Darstellungen, die für sich genommen unsachlich sind, durch andere Inhalte ausgeglichen werden können; ferner ist bei der Prüfung dieser Grundsätze der Eindruck des Durchschnittskonsumenten im Gesamtkontext des Gebotenen maßgebend, wobei vom Wissens- und Bildungsstand des Durchschnittskonsumenten auszugehen ist.“ Mehr zu gesetzlichen Bestimmungen für den ORF und Gerichtsentscheidungen dazu im Stichwort OBJEKTIV, UNPARTEILICH, UNABHÄNGIG, VIELFÄLTIG Was Gesetz und Gerichte dem ORF vorgeben.