KI Künstliche Intelligenz in Journalismus und Medien
Inhalt
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Warum ist das wichtig?
- Künstliche Intelligenz (KI) bringt für Journalismus und Medien große Chancen, vor allem effizienter zu arbeiten. Sie kann, sinnvoll und verantwortungsvoll eingesetzt, Journalistinnen und Journalisten ermöglichen, sich auf Kernaufgaben ihres Jobs zu konzentrieren. Relevante Informationen herausfinden, auswählen, bewerten und analysieren etwa, mit Menschen sprechen, Entwicklungen erkennen und beobachten, Beobachtetes, Erkenntnisse und Erfahrung zu verarbeiten, daraus Schlüsse zu ziehen.
- Künstliche Intelligenz bringt für Journalismus, Medien und Gesellschaft zumindest so große Gefahren. Mit ihrer Hilfe können gezielte Desinformationen und Propaganda einfacher, wirksamer und in gewaltiger Dimension erstellt und verbreitet werden. In Text, Ton, Bild und Video, täuschend echt. Ein Waffenarsenal für alle, die mit falschen oder verfälschten Inhalten Politik machen, Misstrauen und Unsicherheit schüren, Gesellschaften spalten und destabilisieren oder Geschäfte machen.
- KI dürfte für einen der massivsten Einschläge von Technologie in unserer Welt sorgen. Längst nicht alleine, aber auch in Medien und Journalismus.
- Ich bin kein Experte für KI, und will auch nicht so tun, als wäre ich einer. Ich versuche in diesem Beitrag einen vereinfachten und sehr groben Überblick zu geben, was Künstliche Intelligenz für die Medienbranche bedeuten könnte, und Beispiele bringen, wie sie KI schon einsetzt oder noch einsetzen könnte.
Technologie verändert Mediennutzung und Journalismus
Große Revolutionen und Umbrüche in Journalismus und Medien werden heute von kleinen Geräten wie Apples erstem iPhone 2007 ausgelöst. Vom technologischen Gespür, was Mensch und Aufmerksamkeit fesselt, wie Social Media. Oder von technologischen Entwicklungen und Interventionen, wie dem plötzlichen Auftritt eines frei zugänglichen großen Sprachmodells wie ChatGPT im Herbst 2022.
Traditionelle, journalistische Medien waren in den vergangenen Jahrzehnten eher selten unter den ersten, die neue technologische Möglichkeiten erkannten und entschlossen wie konsequent nutzten. Vielleicht ist das auch allzu hart und pauschal formuliert. Beispiele für das Gegenteil lassen sich vermutlich finden.
Large Language Models wie das ab Herbst 2022 öffentlich zugängliche ChatGPT und andere LLMs operieren, wie unschwer aus dem Namen zu erkennen, mit Sprache. Sie produzieren im Grunde Sprache nach der Wahrscheinlichkeit von Wortfolgen und lernen erst einmal aus vorhandenen Texten, die online verfügbar sind.
Sabine T. Köszegi sagt als KI-Expertin im Ö1-Medienmagazin #Doublecheck im Jänner 2025: "Das Programm rechnet und antwortet mit Wahrscheinlichkeiten, die aber wieder in Wörter übersetzt werden. Das heißt: Alles, was hier rauskommt, ist im Grund genommen eine Halluzination." Und: "Die Leserin oder der Leser eines KI-Outputs kreiert den Inhalt, in dem er oder sie Sinn zuschreibt."
Große Player und ihre Sprachmodelle
Ton und Takt in der KI-Entwicklung geben große Sprachmodelle an wie GPT von Open AI in schon vielen Versionen, die neuesten stets kostenpflichtig. Eingesetzt etwa in Microsoft Copilot und ChatGPT. Wie Gemini von Google/Alphabet, Metas LLaMA oder Claude von Anthropic. Nur beispielhaft aufgezählt und ohne Anspruch auf Vollständigkeit und letzten Stand.
Herausforderungen
Maschinelle Sprachproduktion regt naturgemäß die Fantasie von Medienmanager:innen an, vielleicht auch von Journalist:innen, die ja auch Sprache produzieren.
Halluzinationen. Aber die Sprachausgabe hängt von der Qualität des verarbeiteten Materials ab. Und LLMs neigen zu sogenannten Halluzinationen. Vermenschlicht formuliert: Lücken in ihrem Wissensstand füllen sie gerne und ohne Rücksicht auf Faktentreue mit großer Fantasie.
Das soll zwar auch bei menschlichen Journalist:innen schon vorgekommen sein, widerspricht aber der Grundidee und dem Verständnis von Journalismus, die Welt so realitätsnahe wie möglich, überprüft und transparent abzubilden.
Urheberrecht, Verwertungsrecht, Leistungsschutzrecht. Die Qualität von Large Language Models hängt wesentlich von ihrem Trainingsmaterial ab. Viel Trainingsmaterial stammt von Journalistinnen und Journalisten, die Verwertungsrechte liegen bei Medienhäusern. Einige große Medienhäuser sperren LLMs aus, einige wie die Mediengruppe der New York Times klagten gegen von ihr festgestellte Textnutzungen ohne Genehmigung. Andere Medienhäuser verkaufen die Nutzung ihrer Inhalte in großen Deals an die Betreiber großer Sprachmodelle.
Desinformation, Propaganda, Zerstörung von Vertrauen. Wo immer es nicht um die Abbildung der Realität, möglichst faktengetreue Darstellung geht, kann KI ungemein helfen. Sie macht die Produktion und massenhafte Verbreitung von Falsch- und Desinformation vielfach leichter und effizienter. KI-Tools erleichtern gewaltig, Bildern, Videos, Tondokumenten zu verfälschen oder Audio- und Videomaterial nie stattgefundener Ereignisse zu erstellen. Sie bietet ein hochgefährliches Waffenarsenal, um Vertrauen zu zerstören.
Was tun?
Ein zentraler Leitsatz vieler Redaktionen und Medienunternehmen ist: Bei KI-Anwendungen müsse ein human in the loop sein, also ein Mensch überprüfen, was KI produziert hat.
Katharina Schell, stellvertretende Chefredakteurin und journalistische KI-Expertin der APA, bringt das für mich sehr genau und verständlich auf den Punkt: Journalistische Aufgaben wie Auswahl, Recherche, Analyse, mit Quellen zu sprechen, Interviews zu führen, Darstellungen zu überprüfen, Schlüsse aus den Recherchen zu ziehen und diese darzustellen übernehmen weiterhin Journalistinnen und Journalisten. KI werde dafür eingesetzt, intellektuelle Leistungen von Journalistinnen und Journalisten weiter zu bearbeiten.
Unternehmen insgesamt und Medienunternehmen wie die APA setzen auf CompanyGPTs, die anhand eines bestimmten Pools von gesichertem und geprüftem Material und Wissen trainiert werden: bei der APA etwa mit deren schon lange in elektronischen Archiven gespeicherten journalistische Beiträgen der APA-Redaktion. Auch die Inhalte des Großteils anderer österreichischer Medien sind dort gespeichert und können, Einverständnis der Rechteinhaber vorausgesetzt, ein solches österreichisches journalistisches GPT trainieren.
Anwendungen
Die APA hat etwa ein Lektorats- und Korrekturtool ("APA Text Assistant") entwickelt, das neben der Fehlerkorrektur auch Texte nach Zeichenzahl kürzt, etwa um sie in Printlayouts einzupassen. Sie arbeitet 2024/2025 an einem Onlineredaktionssystem für Medien, aber auch Unternehmens-Newsrooms mit KI-Unterstützung. KI-unterstützte Fotoerkennung hilft bei der Suche in Bildarchiven der APA oder anderen Medien, nicht alleine die gesuchten Menschen zu finden, sondern auch mit den inhaltlich passenden Gesten, Gesichtsausdrücken oder Situationen. Sie arbeitet an einem Live-Faktencheck-Tool etwa für TV-Diskussionen.
Mein Kollege Felix Neumann, er arbeitet inzwischen im Newsteam der Kleinen Zeitung und für die APA, hat 2024 für den Standard bei österreichischen Medienhäusern nachgefragt, wo und wie sie KI-Tools einsetzen oder deren Einsatz planen. Mein kurzer, beispielhafter Überblick basiert im Wesentlichen auf seinen Recherchen, manches hab' ich dazu erfragt. Neumanns Befund: "Die meisten Medien zählen bereits auf die Unterstützung durch Künstliche Intelligenz bei der Verschriftlichung von Interviews, Zusammenfassungen, in der Korrektur oder bei der Verbesserung von Audiodateien."
Der öffentlich-rechtliche ORF hat unter dem Titel "Aiditor" ein KI-Tool für redaktionelle Anwendungen entwickelt. Laut ORF kann der Aiditor aus bereits vorhandenen Inhalten andere Formate wie Onlineartikel, TV- und Radiotexte, Teletextbeiträge, Social-Media-Postings und Titel/Schlagzeilen generieren. Er transkribiert Aufnahmen und kann die Audioqualität von Aufnahmen verbessern. Er übersetzt Texte in mehr als 40 Sprachen und erkenne Zitate.
Servus TV verwendet KI zur Untertitelung, geplant war sie im Sommer 2024 auch für Liveshows.
Bei der Presse und der Kleinen Zeitung sorgt KI für Audiovarianten von Texten, zunächst haben Anna-Maria Wallner und Barbara Haas ihre Stimmen dafür klonen lassen.
Christian Nusser lässt seinen "KI-Kumpel", also seine ebenfalls geklonte Stimme, seine Kolumne "Kopfnüsse" beim Heute-Ableger Newsflix vorlesen.
Das Podcast-Unternehmen Missing Link und Dunkelkammer-Podcaster Michael Nikbakhsh lassen unter der Marke "Radio Gustav" 2024 ebenfalls geklonte KI-Stimme Presseaussendungen vorlesen.
Das "Inforadio" via DAB+ in Wien von Florian Novak (Lounge FM, Jetzt) ist zu wesentlichen Teilen KI-generiert.
Kronehit lässt sich etwa von zwei KI-Tools beim Verfassen von Radionachrichten aus APA-Meldungen helfen, auch hier wird betont, dass ein Mensch das Ergebnis überprüfe. Der Sender experimentiert auch mit KI-gesprochenen Nachrichten, Wetter- und Verkehrsmeldungen in der Nacht.
Russmedia hat ein KI-Assistenztool im Einsatz, das etwa Texte kürzt, Titel vorschlägt, übersetzt und Kommentare moderiert. Für Lektorat, Transkribieren von Interviews, Archivbeschlagwortung haben einige Verlagshäuser KI im Einsatz.
Der Standard testete 2024 etwa KI-generierte Zusammenfassungen von Artikeln; schon seit Jahren hilft ein selbst entwickelter Algorithmus bei der Platzierung von Artikeln weiter unten auf der Startseite sowie auf Ressortseiten von derStandard.at.
Googles KI-Schweizermesser für Journalist:innen
NotebookLM ist ein für Journalistinnen und Journalisten praktisches KI-Tool von Google/Alphabet (Stand 2024/2025), um etwa Dokumente zusammenzufassen oder daraus ruckzuck einen Audio-Podcast zu erstellen. Google verspricht, personenbezogene Daten nicht zum Training zu verwenden.
Wo und wie Medien international KI einsetzen
Einen internationalen Überblick liefern etwa die Studien des JournalismAI-Projekts des Instituts Polis an der London School of Economics. Die bisher aktuellste Erhebung aus 2023 unter dem Titel Generating Change ist unter diesem Link abrufbar.
Einen guten, relativ aktuellen Überblick über Anwendungen von KI in Journalismus und Medien bietet auch der Ende Juni 2024 veröffentlichte Bericht Trusted Journalism in the Age of AI der EBU, das ist der Verband europäischer öffentlich-rechtlicher Rundfunkunternehmen.
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Kommentar: KI und der nächste Untergang des Journalismus
Katharina Schell (APA) hat für mein Buch So funktioniert Österreichs Medienwelt, erschienen 2023, einen kurzen, grundsätzlichen Gastbeitrag zu KI und ihrer Anwendung geschrieben, in dem sie die ganz aufgeregten KI-Szenarien der Branche nach dem Einschlag von ChatGPT 2022 erdet. Ich bringe den Beitrag auch hier.
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