Roland Weißmann
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Warum ist das wichtig?
Österreichs weitaus größter Medienkonzern ORF mit mehr als einer Milliarde jährlicher Einnahmen, großteils aus dem ORF-Beitrag, hat einen Alleingeschäftsführer, den Generaldirektor oder die Generaldirektorin.
- Dieser Alleingeschäftsführer entscheidet letztlich über alle Besetzungen unterhalb der Direktionsebene. Die Direktorinnen und Direktorinnen in der Zentrale und der Landesstudios schlägt der ORF-General dem ORF-Stiftungsrat vor.
- Der General, die Generalin führt das Unternehmen, bei grundlegenden Fragen in Abstimmung mit dem politisch besetzten Stiftungsrat.
Politik und Personal. Der ORF ist ein öffentliches Medienunternehmen unter öffentlicher, politisch (mit)bestimmter Kontrolle mit gewaltiger Reichweite. Entsprechend groß ist das Interesse der Politik an Besetzungen im ORF. Ganz besonders am Generaldirektor oder der Generaldirektorin. Aber auch an vielen Ebenen darunter, etwa Chefredakteur:innen und Ressortleiter:innen, die der General bestellt.
Roland Weißmann wurde 2022 ORF-Generaldirektor dank Unterstützung der ÖVP-nahen Mehrheitsfraktion im ORF, geführt von Unternehmensberater Thomas Zach. Für ihn stimmten auch Grüne, darüber gab es einen Sideletter ihrer Regierungskoalition mit der ÖVP. Zudem Betriebsrätinnen und der von der FPÖ gestellte Stiftungsratschef Norbert Steger.
Was tut Weißmann als General und wie? Hier kommt eine Bilanz der ersten Halbzeit. Ob er die gesamte Spielzeit auf dem Platz bleiben kann, ist nicht ganz sicher.
Kontext: ORF
Das Wichtigste zum ORF im Überblick findest du im Lexikonstichwort ORF.
Wer ist Roland Weißmann?
Geboren 13. März 1968 in Linz (Oberösterreich)
Landesstudio Niederösterreich. Der Oberösterreicher hat in Wien Kommunikationswissenschaft und Geschichte mit dem Magistertitel abgeschlossen, seine lange ORF-Karriere begann 1995 im ORF Niederösterreich an der Seite von damals jungen Journalist:innen wie Richard Grasl, Lisa Totzauer, Gudrun Stindl.
Richard Grasl. Weißmanns Karriere im ORF verläuft immer wieder im Windschatten von Richard Grasl. Weißmann wechselt 1998 als Chef vom Dienst zu Ö3 und 2000 in die zentrale Radio-Nachrichtenredaktion. 2003 geht er als Wortchef von Radio Niederösterreich zurück nach St. Pölten, da ist Grasl schon Chefredakteur, unter ihm wird Weissmann 2007 Fernsehchef im Landesstudio, er leitet Niederösterreich heute. 2010 folgt Weißmann Grasl als Büroleiter in die ORF-Finanzdirektion, 2012 wird er in dessen Finanzdirektion Chefproducer. 2016 tritt Grasl als Kandidat von ÖVP und FPÖ bei der Generalswahl gegen den amtierenden Sozialdemokraten Alexander Wrabetz an und verliert. Grasl verlässt den ORF, er ist heute Geschäftsführer von Kurier und Mediaprint (und wird dennoch auch immer wieder als ÖVP-Kandidat für den ORF gehandelt).
ORF-General. Weißmann statt Wrabetz wird generalstabsmäßig vorbereitet, federführend ist der Sprecher der ÖVP-nahen Mehrheitsfraktion im Stiftungsrat, Thomas Zach. Sideletter zum Koalitionsabkommen der ÖVP mit den Grünen sehen vor, wer für welche Funktionen nominiert: Die ÖVP den General und zwei Direktoren – es werden Ingrid Thurnher, Radio, und Harald Kräuter, Technik; zwei die Grünen - Eva Schindlauer (Finanzen) und Stefanie Groiss-Horowitz (Programm TV). Weißmann wird am 10. August 2021 mit Stimmen von ÖVP, Grünen, einem Blauen und einem Teil der Betriebsräte für fünf Jahre von 2022 bis 2026 bestellt, gegen Amtsinhaber Alexander Wrabetz (für ihn stimmt die SPÖ) und Lisa Totzauer, heute TV-Magazinchefin, für sie stimmen etwa die übrigen FPÖ-nahen Räte.
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Was tut Weißmann als ORF-General?
Weißmann bringt einige große Themen zu Ende, die sein Vorgänger Alexander Wrabetz nicht abgeschlossen hat.
1. ORF-Beitrag
Der ORF bekommt 2024 mit einem neuen ORF-Gesetz einen neuen ORF-Beitrag, unabhängig vom Empfang. Der Verfassungsgerichtshof hob 2022 die ORF-Finanzierung über die GIS auf. Sie sei verfassungswidrig, weil Streamingnutzung von der GIS-Pflicht ausgenommen ist. Die Beschwerde brachte der ORF noch unter Alexander Wrabetz ein. ÖVP-Wunschkandidat Weißmann verhandelt mit ÖVP-Medienministerin Susanne Raab und ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner eine neue Finanzierung über einen ORF-Beitrag von allen, unabhängig vom Empfang
- Aber: Der ORF-Beitrag von allen (Hauptwohnsitze, Firmen) sorgt für massiven Unmut über den ORF (vor allem bei neuen Zahlern, für die anderen wurde um bis zu knapp die Hälfte günstiger). Die FPÖ nutzt den Unmut, um vor EU- und Nationalratswahl für die Abschaffung des Beitrags und massive Kürzungen des ORF-Budgets zu kampagnisieren. Private Medienhäuser und der Zeitungsverband beschweren sich bei der EU-Kommission wegen Wettbewerbsverzerrung.
- Aber: Das Finanzministerium kalkuliert den Beitrag mit 180.000 Hauptwohnsitzen mehr, als der ORF zunächst ausmachen kann. Im Frühjahr 2024 tut sich im ORF eine Finanzlücke von fast 33 Millionen Euro auf. Der ORF greift auf GIS-Reserven zurück, schichtet intern um.
2. Streaming
Das neue ORF-Gesetz ermöglicht dem ORF, für Streaming eigens Videobeiträge und Sendungen (Nachrichten, Sport insbesondere) zu produzieren. Für Fiction-Streamingproduktionen braucht er eine eigene Genehmigung der Medienbehörde KommAustria. Das Gesetz ermöglicht ihm einen Streaming-Kinderkanal (ORF Kids). Es streicht das Limit von bis dahin sieben Tage Streaming nach der Ausstrahlung in TV oder Radio.
Österreichs größte Nachrichtenplattform ORF.at wird damit deutlich videolastiger, das Textangebot wird vom Gesetz beschränkt.
Mit ORF On startet der ORF eine neue, zeitgemäßere Videoplattform und löst damit im Mai 2024 die alte TVthek ab.
Der ORF darf auf Youtube Kanäle starten, im September 2024 geht einer der ZiB on air (die ZiB 3 auf ORF 1 soll dafür gekippt werden). Teil einer Social-Media-Offensive des ORF, die junge Zielgruppen ansprechen will, auch in Kooperation mit Funk von ARD und ZDF.
- Aber: Die neuen Möglichkeiten für Nachrichtenvideos und Streaming sorgen für schwere Verwerfungen mit privaten verlegerischen Medienhäusern wie dem Standard. Medienunternehmen und Zeitungsverband beschweren sich bei der EU-Kommission, die neuen Regelungen verzerrten den Wettbewerb.
- Aber: Den TV- und Radioriesen ORF organisatorisch auf Streaming, Digital und Social umzubauen, ist ein langer Weg.
- Wie groß ist ORF On beim offiziellen Start im Mai 2024? Der ORF zählt Nettoviews vorerst nur zusammen mit denen auf ORF.at und Sport.ORF.at, auf Joyn und anderen Plattformen, und für Jänner bis April 2024. In vier Monaten hatten ORF-Inhalte demnach 14,1 Millionen Nettoviews, also pro Monat rund 3,5 Millionen. 53 Prozent davon machte der ORF auf ORF on - also rund 1,76 Millionen Nettoviews.
3. Größter Newsroom des Landes besetzt, neue Regeln
Ein gemeinsamer ORF-Newsroom für TV, Radio, Online und Social Media mit gut 360 Journalistinnen und Journalisten wird unter Alexander Wrabetz geplant, beschlossen und gebaut. Die interne Führungsstruktur für Österreichs größten und reichweitenstärksten Newsroom baut und besetzt Weißmann. Die größte Inforedaktion des Landes, zudem im öffentlichen, öffentlich kontrollierten ORF interessiert die Politik naturgemäß sehr, die möglichst (aus eigener Sicht) gut in den ZiBs und Journalen und auf ORF.at wegkommen will.
Die drei neuen Chefredakteur:innen Johannes Bruckenberger (Sendungen), Gabi Waldner-Pammesberger (Ressorts) und Sebastian Prokop (Online) sind nicht gerade als willfährige Wunscherfüller der Kanzlerpartei ÖVP bekannt. Auch wenn APA-Chefredakteur Bruckenberger schon länger und in der ÖVP unter Sebastian Kurz als denkbarer Kandidat gehandelt wurde.
Ressortleiter. Insbesondere Klaus Webhofer aus dem als besonders kritisch eingestuften Radio-Ressort als multimedialer Innenpolitikchef ist auch kein anbiederndes Signal.
Die ÖVP von Kanzler Karl Nehammer wirkt wenig begeistert davon, wie sie in der ORF-Information vorkommt. Sie erweckt eher den Eindruck, als hätte sie sich da von ihrem Wunschkandidaten Weißmann mehr erwartet
- Aber: Einige Journalist:innen und Moderator:innen monieren einen ÖVP-freundlichen Kurs unter Weißmann; einzelne sehen sich wegen kritischer Positionen demontiert, gekündigt oder hinausgedrängt. Eine Redakteurin klagt deshalb beim Arbeitsgericht, eine Managerin zudem, weil sie sich beruflich zurückgesetzt sieht.
ORF-Regeln. Unter Weißmann werden auch eine Menge interner Regelungen für ORF-Personal neu formuliert oder neu erstellt: Ein neuer "Ethikkodex" regelt etwa Social-Media-Auftritte und Nebenbeschäftigungen strenger. (Das ORF-Gesetz verlangt parallel ab 2024 auch die Offenlegung von ORF-Gehaltsstrukturen, Spitzengehältern auch namentlich und Einkünften aus Nebenjobs.) Ein neues Redaktionstatut schließt Wei8mann ab.
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Bestellt bis Ende 2026 – oder vorzeitige Ablöse?
Das ist eine Halbzeitbilanz, Stand Mitte 2024. Halbzeit, wenn Weißmann und sein Team die reguläre Spielzeit im Amt bleiben.
Eine bis Ende März 2025 nötige weitere Novelle des ORF-Gesetzes könnte die Amtszeit vorzeitig beenden. Der Verfassungsgerichtshof verlangt bis zum Frühjahr 2025 neue Regeln für die Bestellung und Auswahl von ORF-Stiftungsräten. Sie müssen etwas regierungsferner gestaltet werden, bisher sind sie laut Höchstgericht verfassungswidrig.
Änderungen der ORF-Gremien waren schon mehrfach Anlässe, um ORF-Generäle vorzeitig loszuwerden, im Jahr 1974 (SPÖ-Regierung) und 2001 (ÖVP/FPÖ).
Aber: Bis zu einer Gesetzesänderung könnten die aktuellen Stiftungsräte von Bundesregierung und Publikumsrat auch im Amt bleiben. Ob und wie rasch sie ausgetauscht werden, hängt wesentlich von der Regierungskonstellation nach der Wahl am 29. September 2024 ab. Sie könnte auch noch vor Ende März 2025 nach den alten Regeln neue Stiftungsräte bestellen.
Aber: Die Verträge sehen vor, dass die Bezüge bis zum regulären Ende der Amtszeit bei vorzeitiger Ablöse ausbezahlt werden müssen.
Weißmann hat in seinem Vertrag ein Rückkehrrecht in seine frühere Position als Chefproducer und damit Finanzchef des ORF-Programms. Er war auch Vizedirektor in der Finanzdirektion, aber solche Stellvertreterjobs hat Weißmann als General gestrichen.
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