Wozu Journalismus? Wozu Medien? Aufgaben und Krisen
Inhalt
Dieses Thema ist auch relevant für:
Warum ist das wichtig?
- Was ist Journalismus? Als demokratische Grundidee: Zu einer informierten Gesellschaft wesentlich beizutragen mit möglichst vielfältiger, unabhängiger Information und Einordnung. Damit diese Gesellschaft möglichst informierte demokratische Entscheidungen trifft.
- Journalismus und Medien interessieren Dich nicht, weil du deine Infos von Tiktok, X, Insta, Whatsapp, Telegram oder Signal beziehst? Viele der Inhalte dort stehen zumindest in Zusammenhang mit Medien und Journalismus – Journalist:innen posten ihre Erkenntnisse und Einschätzungen, Medieninhalte werden zitiert, kommentiert, weitergesponnen oder auch kritisiert und in Abrede gestellt.
- Geschäft und Unterhaltung. Journalismus wird neben der Idealdefinition aus Punkt 1 ebenso als Unterhaltung und als Geschäft verstanden und betrieben. Nicht immer scheint bei Medieninhalten die Grundidee des Journalismus im Vordergrund zu stehen. Und selbst wenn, passieren auch hier wie bei allem menschlichen Handeln Fehler (die es, auch das ist journalistische Verantwortung, so rasch wie möglich zu korrigieren und benennen gilt).
- Propaganda und parteiische Positionen werden von einem neuen Typus weltanschaulicher oder Parteimedien als Journalismus getarnt. Aus dieser Tarnung heraus greifen parteiische Medien und Player Journalismus an und nennen ihn bewusst unobjektiv (obwohl das vielmehr auf die parteiischen Angreifer zutrifft).
- Bitte keine News, keine störenden Fakten! Ein wesentlicher Teil der Gesellschaft ist offenbar mehr an einer Bestätigung der eigenen Weltsicht interessiert als an der Realität, die dieses Weltbild womöglich stört. Das Vertrauen in Medien sinkt. Ein wesentlicher Teil der Menschen vermeidet Nachrichten bewusst; viele davon sagen, weil sie die News deprimieren oder überfordern.
- Deshalb finde ich es wichtig zu überlegen, was Journalismus ist und was nicht, wie er funktioniert, was er leisten kann.
Worum es geht
In diesem Beitrag geht es vor allem um Journalismus in seiner gesellschaftlichen, demokratischen Rolle. Journalismus als Beitrag zu einer Gesellschaft, die informierte Entscheidungen trifft. Das ist kein Widerspruch zu lebensnaher, für Userinnen und User greifbarer, vielleicht sogar unterhaltsamer Aufbereitung. Aber das Ziel steht in diesem Beitrag im Vordergrund, nicht die Unterhaltung, und auch nicht das Geschäft. Auch wenn professioneller Journalismus Geld kostet und Finanzierung braucht. Dazu kommen wir noch.
Was ist Journalismus?
- Journalismus hat eine zentrale Aufgabe: Relevante Ereignisse, Entwicklungen und Phänomene zu beschreiben, zu zeigen, auch zu erklären. Der Realität dabei möglichst nahe zu kommen, sie möglichst klar und verständlich darzustellen. Transparent zu machen, was man über diese Ereignisse und Entwicklungen weiß, und was womöglich nicht. Zu beleuchten, warum diese Entwicklungen so sind und wie man selbst zu dieser Erklärung gekommen ist. Und im Idealfall liefert Journalismus auch Anhaltspunkte, wie Userinnen und User mit dieser Information umgehen, sie für sich einordnen können.
- Journalismus ist ein Beruf mit professionellen Regeln und Standards, häufig organisiert in Redaktionen. Redaktionen organisieren gemeinsame Diskussion, Bewertung und Qualitätskontrolle von Themen und journalistischer Arbeit. Das schließt aber nicht aus, dass Blogger, YouTuber oder andere Organisationsformen journalistisch tätig sein können – und Zielgruppen erreichen, die für traditionelle Journalist:innen schwerer zugänglich sind.
- Journalistische Standards sind neben dem – für Medien grundsätzlich geltenden – Mediengesetz etwa Ethikregeln der Branche wie jene des Österreichischen Presserats über Sorgfalt in Recherche und Darstellung, Schutz von Privatsphäre und vor Vorverurteilung,Trennung von journalistischen Inhalten und kommerziellen wie Werbung sowie deren Kennzeichnung, Compliance- und Transparenzregeln, Trennung von Bericht und Kommentar.
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Warum Journalismus nicht nur ein Problem hat
Journalistinnen und Journalisten waren über viele Jahrzehnte die Chronisten und Kommentatorinnen der Welt, die Vermittler von Realität. Sie waren sogenannte Gatekeeper, Schleusenwärter, deren Beruf es war, aus einer Unzahl von Ereignissen und Entwicklungen auszuwählen, was wichtig, was relevant, was interessant für Ihr Publikum war. Dieses Publikum konnte lesen oder nicht, schauen und hören, oder nicht, kaufen oder nicht. Und vielleicht gelegentlich Leserbriefe schreiben oder das Publikumsservice anrufen.
Das ist schon eine Weile vorbei. Mit dem Web, mit sozialen Medien und anderen Plattformen, mit geschlossenen Gruppen auf Messengerdiensten, mit Suchmaschinen, mit Streaming, mit Smart Speakern und Künstlicher Intelligenz. Jeder und jede kann publizieren und tut das auch. Aber an der Aufgabe, der Idee von Journalismus hat sich grundsätzlich nichts geändert. Er konkurriert nur inzwischen mit allen Userinnen und Usern um die Aufmerksamkeit für Posts und andere Inhalte. Mit echten Menschen und mit Bots. Mit Medienangeboten, die nur so tun, als wären sie journalistische Medien, und eine weltanschauliche, parteiische Agenda verfolgen. Die ohne wesentliche Rücksicht auf die Realität publizieren, behaupten und damit emotionalisieren, aufregen können.
Emotion ist ein Turbo für Posts auf sozialen Plattformen, weil sie Aufmerksamkeit und Interaktion treiben, und die Algorithmen der gängigen Plattformen auf Aufmerksamkeit und Interaktion programmiert sind. Nüchterne Information und sachlche Analyse können da schwer mithalten.
Soziale Medien und Plattformen sind aber sehr wichtige Kanäle für Medien, um Publikum mit ihren Inhalten zu erreichen. Und sie sind die wichtigsten Wege, um ein junges Publikum zu erreichen. HIer konkurriert Journalismus mit aller Welt von echten User:innen bis Propagandisten um Aufmerksamkeit - bestenfalls auf Augenhöhe, eigentlich mit dem Handicap, dass sich die Aufgabe von Journalismus nicht mit Emotionalisierung und Polarisierung verträgt.
- Das ist natürlich sehr schwarz und sehr weiß gemalt. Journalismus sucht natürlich schon ganz ohne Social Media Aufmerksamkeit von Userinnen und Usern. Er sucht sie, weil er sich aus Werbung finanziert und aus Beiträgen von Userinnen und Usern.
- Und es gibt das Genre des Boulevardjournalismus, der schon lange vor sozialen Medien zugespitzt hat, emotionalisiert, kampagnisiert hat und mit plakativen Freund-Feind-Schemata arbeitet. Wir und die anderen. Boulevard versteht sich gut mit Social Media.
Vertrauensverlust. Die Aufgabe von Journalismus, Realität bestmöglich abzubilden, verträgt sich auch nicht mit Extrempositionen in einer polarisierten Gesellschaft. Wer etwa nicht an Erderhitzung oder moderater Klimawandel glaubt oder diese nicht als Problem sieht, ist damit schwer zu erreichen. Das Vertrauen in Medien und Journalismus störten aber ebenso Chat-Affären zwischen Journalisten und Politik über Besetzungen und Politeinfluss. Wie auch tatsächliche Nähe zwischen Politik und Medien oder eine Identifikation der beiden in den Augen des Publikums.
Nachrichtenvermeidung. Vertrauensverlust aus solchen Gründen ist ein Motiv für Nachrichtenvermeidung. In Umfragen aber wird als häufigstes Motiv für diese "News Fatigue" und "News Avoidance" aber genannt: Die Nachrichten deprimieren mich, sind so negativ.
Professioneller Journalismus braucht Geld. Journalismus und journalistischen (wie auch andere) Medien finanzierten sich vor allem aus Werbung, viele zudem aus Userbeiträgen über Zeitungs- und Magzinabos, später auch Pay-TV. Beides funktioniert in der digitalen Welt nicht mehr in gewohnter Breite:
- Die größten Werbeumsätze der Welt gehen längst an Digitalkonzerne wie Alphabet (Google, Youtube), Meta (Facebook, Instagram, Whatsapp), Bytedance (Tiktok), Amazon, Microsoft (LinkedIn) und Co. Sie müssen keine Inhalte finanzieren, sind günstiger, können zielgruppengenauer targeten. In Österreich überstiegen die Werbeeinnahmen der globalen Digitalriesen 2023 erstmals jene journalistischer Medien.
- Für digitale News bezahlen nur wenige, in Österreich laut Digital News Report 2023 rund 14 Prozent. Es gibt global oder in Nischenmärkten erfolgreiche Bezahlmodelle, in kleinen Märkten wie Österreich tun sich General-Interest-Medien aber schwer mit ausreichender User:innen-Finanzierung.
Immer weniger Journalistinnen und Journalisten. Schon vor der großen Sparwelle in Österreichs etablierten Medien ab 2023 ist die Zahl der Journalistinnen und Journalisten laut Journalismusreport-Erhebungen des Medienhaus Wien von 2006 bis 2019 um rund ein Viertel zurückgegangen. Zugleich rüsten Unternehmen und vor allem Politik ihre PR-Abteilungen auf. Im Bundeskanzleramt sind vielfach mehr Menschen mit Kommunikationsaufgaben beschäftigt als in den Politikressorts österreichischer Medien.
Künstliche Intelligenz. ChatGPT, Gemini und Co zeigen ab 2022 einer breiten Öffentlichkeit, wie schnell sie texten, Bilder und Videos produzieren können, häufig allerdings mit einiger Distanz zur Realität. KI kann Journalismus und Medien unterstützen – unter der (End-)-Kontrolle ihrer Arbeit von Menschen. Sie verleitet zugleich zu weiteren Kürzungen in den Redaktionen. Sie wirft neue Fragen auf: Wer gilt Medien und Journalist:innen die Urheberrechte an ihren Inhalten ab, mit denen KI häufig trainiert wird? KI-formulierte Antworten statt Suchergebnisse mit Links können Medien weiteren Traffic kosten und damit weitere Werbeeinnahmen. Und KI vereinfacht ebenso die – von Realitätssinn unbekümmerte – Produktion und Verbreitung von Desinformation, Propaganda.
Daten und Charts über diese Herausforderungen für Journalismus und Medien
Existenzielle Herausforderungen für Journalismus. Vor allem für Journalismus in traditionellen Medienorganisationen. Daraus entstand, international und auch in Österreich, eine Vielzahl von journalistischen Startups und Einzelkämpfer:innen. Aber auch Neugründungen sind mit den Herausforderungen konfrontiert.
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Journalistische Startups und Einzelkämpfer:innen
Professionellen Journalismus abseits traditioneller Medienorganisationen gibt es auch in Österreich. Einzelkämpfer wie Johannes Huber (dieSubstanz.at) und Andreas Sator mit Newslettern und Podcasts wie Erklär mir die Welt etwa. Aufdecker Michael Nikbakhsh startete nach dem unfreiwilligen Abschied von Profil Ende 2022 den Podcast Die Dunkelkammer mit Podcast-Unternehmer Stefan Lassnig (Missing Link Media). Florian Skrabal, Georg Eckelsberger, Fabian Lang, Ashwien Sankholkar, Peter Sim und Sahel Zarinfard betreiben die Rechercheplattform Dossier mit angeschlossenem Magazin. Melisa Erkurt gründete das Insta-Digitalmedium Die Chefredaktion. Tageins von Dominik Wurnig bemüht sich um mitgliederfinanzierten konstruktiven Journalismus (musste aber 2023 nach Startförderung aus Wien wieder zurückgefahren werden). Andererseits widmet sich Themen um Behinderung und Gesellschaft und machte 2022 mit einer kritischen Doku über die ORF-Charity Licht ins Dunkel Schlagzeilen. Satirisch-journalistisch widmet sich die Tagespresse von Fritz Jergitsch inzwischen supporterfinanziert dem Tagesgeschehen und dem Medienbetrieb.
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Journalist:innen über Journalismus
Wie definieren erfahrene, anerkannte Journalistinnen und Journalisten, was sie tun oder tun sollten? Ich habe für mein Buch So funktioniert Österreichs Medienwelt (Falter Verlag, 2023) eine Vielzahl von österreichischen Medienmacher:innen, Chefredakteurinnen, Infochefs und Herausgeber um ihre Definitionen von Journalismus gebeten. Ich habe hier eine Auswahl zentraler Aussagen aus diesen Beiträgen zusammengestellt.
Sulzberger, Woodward, Bacher
Erst aber kommen zwei internationale Größen und eine österreichische Legende zu Wort:
"Journalismus ist die Suche nach der bestmöglichen Version der Wahrheit."
The best obtainable version of the truth zu suchen: Das ist die Aufgabe des Journalismus für die Aufdeckerlegende Carl Bernstein, der zusammen mit Bob Woodward um 1970 den Watergate-Skandal um Richard Nixon aufgedeckt hat. Nixon war dann nicht mehr lange US-Präsident.
"Journalistische Unabhängigkeit erfordert die Bereitschaft, den Fakten zu folgen, auch wenn in eine andere Richtung führen als angenommen. Die Bereitschaft, sich gleichzeitig einfühlsam und skeptisch mit einer Vielzahl von Menschen und Perspektiven auseinanderzusetzen. Das Beharren darauf, die Welt so wiederzugeben, wie sie ist, und nicht so, wie wir sie gerne hätten. Eine Haltung, die eher von Neugier als von Überzeugung geprägt ist, eher von Demut als von Selbstgerechtigkeit."
A.G. Sulzberger, Herausgeber der New York Times, am 4. März 2024 am Reuters Institute for the Study of Journalism. Er schließt seine Reuters Memorial Lecture mit:
"Als unabhängige Journalist:innen geben wir unseren Mitbürgern jene Informationen, die sie brauchen, um selbst Entscheidungen zu treffen. Das ist eine sehr grundsätzliche Frage von Vertrauen. Falschinformationen und Polarisierung verschwören sich gegen eine gemeinsame Wahrnehmung von Realität, wie sie eine Gesellschaft braucht. Wir können diesen Plagen nicht mit der kämpferischen Selbstgerechtigkeit eines Anwalts begegnen, sondern mit der bescheidenen Aufgabe von Journalist:innen: die Wahrheit zu suchen und den Menschen dabei zu helfen, die Welt zu verstehen."
Eine sehr zeitlos und breiteDefinition von Journalismus aus Österreich:
"Journalismus ist Unterscheidung. Zwischen wichtig und unwichtig, zwischen wahr und unwahr, zwischen Sinn und Unsinn."
Gerd Bacher (1925 – 2015), Journalist und insgesamt fünfmal Generalintendant des ORF. ORF-Anchor Armin Wolf zitiert diese Definition Bachers häufig, er hörte sie bei einem Vortrag Bachers.
Österreichische Journalist:innen über Journalismus
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Was macht eine Story zur Story?
Ich habe auch eine Reihe von Journalist:innen für mein Buch So funktioniert Österreichs Medienwelt um Erklärungen gebeten, was eine Story zur Story macht.
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Qualitätsjournalismus?
Was ist eigentlich der viel strapazierte Qualitätsjournalismus, was sind Qualitätsmedien? In einem eigenen Lexikoneintrag Qualitätsjournalismus liefern Standard-Gründer und Herausgeber Oscar Bronner, Falter-Gründer und Herausgeber Armin Thurnher und Presse-Chefredakteur Florian Asamer Erklärungen und Einordnungen. Qualitätsjournalismus, Qualitätszeitungen, Qualitätsmedien
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Praktischer Journalismus: Lesetipp
Im Herbst 2024 erscheint eine Neuauflage des Standardwerks Praktischer Journalismus, herausgegeben nun von Ingrid Brodnig, Florian Klenk, Gabi Waldner und Armin Wolf im Falter Verlag.
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